16.03.2021

Offener Brief: Geflüchtete in Sammelunterkünften – bei den Covid-19-Impfungen vergessen?!

Der AK Asyl Bielefeld hat sich zusammen mit weiteren Bielefelder Vereinen und Initiativen in einem offenen Brief an die Landesregierung NRW, die Bezirksregierung Detmold, den Bielefelder Oberbürgermeister und das Bielefelder Gesundheitsamt gewendet. Hier der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns als Zusammenschluss verschiedener Organisationen an Sie.
Das Land NRW hat am 1. März 2021 einen Erlass zur Impfung der Bevölkerung gegen Covid-19 herausgegeben. Demnach seien Impfungen der Gruppe mit höchster Priorität bald abgeschlossen und es könnten auch Personen aus der zweiten Gruppe geimpft werden. Außerdem werden laut Erlass weitere Personengruppen vorgezogen, die eigentlich erst in der dritten Gruppe vorgesehen waren. In Bielefeld laufen diese Impfungen bereits an. So weit, so erfreulich. Nein, nicht ganz...

In dem Erlass nicht erwähnt werden Asylsuchende, die verpflichtet sind in Massenunterkünften zu wohnen – entweder in den Unterbringungseinrichtungen des Landes oder den großen Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen. Laut der aktuell geltenden Impfverordnung des Bundes vom 10. März 2021 befinden diese sich jedoch – aus gutem Grund – in der zweiten Priorisierungsgruppe. Denn sie sind aufgrund ihrer äußerst beengten Wohnsituation einem erhöhten Risiko einer Covid-19-Infektion ausgesetzt. Doch in Bielefeld und NRW wird dieser Gruppe bislang kein Impfangebot gemacht, auch wenn sie laut Bundesverordnung nun an der Reihe ist.

Ein kurzer Rückblick: Am Anfang der Pandemie war die prekäre Situation der in Massenunterkünften untergebrachten Asylsuchenden kurzzeitig ins öffentliche Interesse gerückt. Aufgrund der dort herrschenden Wohnverhältnisse, die Kontaktreduzierung kaum möglich machen, waren in vielen Sammelunterkünften gehäuft Infektionen ausgebrochen. Laut einer im Mai 2020 von Bielefelder Wissenschaftler:innen und dem ‚Kompetenznetz Covid-19‘ veröffentlichen Studie lässt sich in den Massenunterkünften für Asylbewerber:innen ein besonders hohes Risiko feststellen, zu Hotspots für Corona-Infektionen zu werden. Außerdem machten zahlreiche Aufrufe von Geflüchteten und anderer Gruppen auf die gesundheitsgefährdenden Zustände aufmerksam und forderten ein Ende der massenweisen Unterbringung mit vielen hunderten Menschen auf engem Raum. Stattdessen wurde eine dezentrale Unterbringung gefordert. Eine Forderung, für deren Umsetzung es zumindest für die Landesunterkünfte eine geltende Gesetzeslage gibt: Denn § 49 Abs. 2 AsylG ermöglicht die Beendigung der Wohnverpflichtung in den großen zentralen Unterkünften des Landes, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge geboten ist. Das Land NRW hielt jedoch an der Sammelunterbringung fest. Zuweisungen wurden zeitweise komplett ausgesetzt. Aktuell werden sie zwar geplant, aber regelmäßig storniert. Für einige Monate wurden zusätzlich Jugendherbergen angemietet, um dort Menschen, die der Risikogruppe angehören, unterzubringen. Diese zusätzlichen Unterkünfte wurden jedoch inzwischen alle wieder geschlossen – mitten in der zweiten Welle der Pandemie ein völlig unverständlicher Schritt, der die Vermutung nahe legt, dass die NRW-Landesregierung den nachhaltigen Schutz der Asylsuchenden vor dem Corona-Virus nicht wirklich im Fokus hat, sondern lediglich auf den wachsenden öffentlichen Druck reagiert worden war.

Auch die nun veröffentliche Impfverordnung des Landes weist leider in diese Richtung. Denn die Impfungen für Personen in Massenunterkünften wurden augenscheinlich „vergessen“. Dabei ist gerade angesichts der sich in Deutschland weiter ausbreitenden Mutationen für die Sammelunterkünfte die Gefahr großer Ausbrüche größer denn je. Die im Laufe des Jahres entwickelten Hygienekonzepte für die Unterkünfte werden gegen die Mutationen kaum ausreichend schützen können. Dies zeigte sich bereits Ende Januar in der Erstaufnahmeeinrichtung in Köln. Dort waren etliche Corona-Infektionen aufgetreten, die auf eine der neuen hochansteckenden Mutationen zurückzuführen waren. Fast die Hälfte der Bewohner:innen und mehrere Mitarbeiter:innen des Betreuungsdienstleisters wurden infiziert. Alle Bewohner:innen wurden unter Quarantäne gestellt und die Unterkunft wurde abgeriegelt. Verhältnisse, wie sie auch letztes Frühjahr bei Infektionen in den Landesunterkünfte häufig geherrscht hatten und die auch nach Meinung des zuständigen Ministeriums unbedingt vermieden werden sollten, da sie eine massive Belastung aller betroffenen Personen darstellen.

In den kommunalen Unterkünften in Bielefeld ist das Infektionsrisiko trotz bestehender Hygienekonzepte ebenfalls nach wie vor hoch. In 3 von 4 der kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte teilen sich die dort lebenden Menschen Küchen und Bäder mit vielen anderen Personen, die nicht zum eigenen Haushalt gehören. Alleinstehende müssen sich Zimmer teilen. Durch ein dauerhaftes Besuchsverbot leben viele Menschen zugleich in hoch belastender sozialer Isolation.
Auch auf kommunaler Ebene wurden geflüchtete Menschen in Sammelunterkünften beim Impfen scheinbar vergessen. Erfreulicherweise werden den Bewohner:innen der Obdachlosenunterkünfte (für die sogenannten „einheimischen Wohnungslosen“) in Bielefeld bereits Impfangebote gemacht. Auch sie befinden sich laut der Bundes-Impfverordnung zu Recht in der zweiten Gruppe. Warum gibt es also in Bielefeld noch kein Impfangebot für die Menschen in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete?

Verhindert werden könnten das hohe Infektionsrisiko und die belastenden Bedingungen zuallererst dadurch, dass Personen endlich dezentral untergebracht und die gesundheitsgefährdenden Wohnverhältnisse konsequent beendet werden.
Bis dahin muss den Bewohner:innen der Massenunterkünfte, jetzt nach Abschluss der Impfungen der ersten Gruppe, so schnell wie möglich und der Bundes-Impfverordnung entsprechend, ein Impfangebot gemacht werden.

Daher fordern wir:

Recht auf Gesundheit für alle!

Beendigung der Wohnverpflichtung für Menschen in Landesunterkünften und dezentrale Unterbringung aller in Massenunterkünften lebenden Menschen, allen voran der Menschen, die zu den Risikogruppen gehören!

Der Bundes-Impfverordnung entsprechend ein sofortiges Impfangebot an alle Bewohner:innen von Massenunterkünften in Bielefeld und NRW!

AK Asyl e.V., 16. März 2021

weitere Unterstützer:innen des offenen Briefs:

  • Bielefelder Initiative für das Recht auf Gesundheit und dezentrale Unterbringung (BIGU)
  • MediNetz Bielefeld
  • Seebrücke Bielefeld
  • IMAG e.V.
  • Initiative Politikwechsel
  • Alarmphone Bielefeld
  • Café Exil

Auch die GGUA aus Münster hat eine Grundsatzkritik zur langfristigen Unterbringung in Sammelunterkünften formuliert. Link: siehe unten