21.10.2014

Neue Westfälische: Wenn Flüchtlingsfrauen Mütter werden

Zeitungsausschnitt

Seite 9 - Lokales Bielefeld

Evangelisches Krankenhaus auf Geburtenanstieg vorbereitet / AK Asyl kritisiert: Hebammen fehlen

Von Heidi Hagen-Pekdemir

Bielefeld. Traumatisiert und erschöpft gelangen Flüchtlingsfrauen aus den Krisengebieten nach Bielefeld. Darunter Schwangere kurz vor der Entbindung. Das Evangelische Krankenhaus hat sich auf die neue Herausforderung eingerichtet. Die Versorgung der Mütter nach der Geburt allerdings sei unzureichend, kritisiert der Arbeitskreis Asyl.

"Von einem Tsunami kann zwar noch keine Rede sein, doch die Entwicklung zeigt uns, dass wir uns auf mehr Flüchtlinge einstellen müssen, beschreibt Dominique Finas die Situation in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des EvKB mit den Standorten Gilead I und Johannesstift, in dem neun Flüchtlingsfrauen während der vergangenen Tagen entbunden haben.

In drei Gruppen teilt der Mediziner die Gebärenden ein. Zur ersten gehören Frauen, die vorher schon einen Gynäkologen gesehen haben. Die zweite besteht aus Schwangeren, die vor der Geburt im Krankenhaus angemeldet und zur Entbindung aufgenommen werden. "Die übrigen kommen ad hoc, wenn sie Hilfe benötigen", so Finas.

Ihre Muttersprachen: meist Syrisch, Kurdisch Russisch und Ukrainisch. Diese Barriere erweist sich häufig als Problem. Erscheint eine Patientin ohne Dolmetscher in der Klinik, muss das Krankenhaus-Personal. einspringen, wie kürzlich eine Reinigungskraft aus Mazedonien, erläutert Maren Dick, Leiterin des Medizincontrollings. Und wenn die Worte fehlen, behilft man sich mit Mimik und Gestik. Das funktioniert auch, wie Finas versichert. "Atmung und Pressung etwa kann man vormachen."

Als besorgniserregend bezeichnet der Gynäkologe den Zustand der meisten Frauen. "Sie befinden sich auf der Flucht, leiden unter Nahrungsmangel und sind traumatisiert. Häufig hätten sie ihre Schwangerschaft einfach ausgeblendet und stattdessen ihre ganze Energie auf die Flucht fokussiert, damit die gelingt. Als Perinatalzentrum sei seine Klinik für "alle Eventualitäten" ausgestattet.

Die meisten Patientinnen kommen aus der Flüchtlings- Notaufnahme in der Polizeischule Schloß Holte-Stukenbrock. Die Zahl der Bewohner dort bewegt zwischen 250 und 400, darunter waren laut Finas zuletzt 47 Schwangere. Ein Teil von ihnen sei unterdessen in andere Unterkünfte weitergeleitet worden.

Mit dem Johannes-Krankenhaus kooperieren zudem das Heim an der Gütersloher Straße und die Zentrale Aufnahmestelle am Stadtholz, neu hinzugekommen ist das Heim in Oerlinghausen. "Wir halten es mit Pfarrer Bodelschwingh", sagt Maren Dick. Von dem Bethel-Gründer stammt das häufig zitierte Wort "Wir weisen niemanden ab."

Ist das Baby auf der Welt, unterstützt das Krankenhaus-Personal die Eltern bei dessen Anmeldung im Standesamt. Doch was nach der Entlassung mit Mutter und Kind geschieht, entzieht sich dem Einfluss der Mediziner und des Pflegepersonals. "Uns ist sehr daran gelegen, dass die Schwangeren bereits eine Vor-Ort-Versorgung und ebenso eine Nachsorge in der betreffenden Unterkunft bekommen", wünscht sich Finas. Hebammen könnten diese Aufgabe übernehmen.

Doch diese Fachkräfte fehlen in den Flüchtlingsheimen. Ein Zustand, den der Arbeitskreis (AK) Asyl kritisiert. Die Organisation begleitet Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus. Der Anspruch auf Hebammenhilfe sei im Asylbewerber-Leistungsgesetz formuliert, betont AK-Mitarbeiterin Zübeyde Duyar. "Das einzuhalten wurde nicht einmal ansatzweise versucht." Sie zeigt auf ein Schreiben, in dem die Stadt die Zusage für einen Hebammendienst gibt. Die Nachricht stammt von Anfang September. Duyars Befürchtung: Dass die für Neugeborene vorgeschriebenen Nachuntersuchungen nicht vorgenommen werden können, erst in der zugewiesenen Kommune gebe es die Möglichkeit dazu.

Die Kosten für die medizinische Versorgung der Patientinnen in Erstaufnahme-Unterkünften übernimmt der Regierungsbezirk Arnsberg im Auftrag des Landes. Nach der Zuweisung ist die jeweilige Kommune zuständig.

Spendenaufruf: Babykleidung wird benötigt

Verständnis für die Situation zeigen die meisten Bielefelder. Das bestätigen übereinstimmend der Frauenarzt Dominique Finas und Zübeyde Duyar vom AK Asyl. Die Bereitschaft zu spenden und zu helfen sei groß.

Schwangeren, die zur Entbindung ins Krankenhaus kommen, fehlt es an allem. Aktuell benötigt die Klinik für Geburtshilfe dringend Kleidung für Babys: Strampler, Schlafsäcke, Mützen und Söckchen, möglichst in den Größen 52 bis 68. Auch Windeln werden gebraucht. Wichtig: Die Kleidung sollte gewaschen und noch brauchbar sein.

Entgegen nimmt die Spenden die Brockensammlung Bethel, Saronweg 10, Bielefeld.

Telefonische Informationen unter (05 21) 1 44 43 65, E-Mail-Kontakt: brockensammlung@bethel.de.

Geöffnet ist die Brockensammlung montags bis freitags, 7 bis 17 Uhr, samstags, 8 bis 12 Uhr.

[FOTO] In Bielefeld geboren: Die zwei Wochen alte Alischia schlummert auf den Armen ihrer Mutter Sarah. Die junge Frau ist aus dem afrikanischen Ghana geflohen und lebt mit ihrer Tochter vorübergehend in der Flüchtlingsunterkunft in Schloß Holte-Stukenbrock. FOTO: KRISTINE GRESSHÖNER