13.02.2014

Neue Westfälische: Schwerer Kampf um junge Flüchtlinge

Zeitungsausschnitt

Seite 9 - Lokales Bielefeld

Asylverfahren bedroht Integrationsleistung / Stadt um Lösung bemüht / Kritik vom AK Asyl

VON JENS REICHENBACH

Bielefeld. Der "Fall Sajib" vor Weihnachten hat es deutlich gemacht: Erst kümmert sich die Kommune vorbildlich um ihre minderjährigen Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Deutschland geflohen sind. Doch nach monatelanger Integrationsarbeit droht mit Erreichen Volljährigkeit ein Asylverfahren, das derzeit gleichbedeutend ist mit dem Abbruch dieser Bemühungen. Dem 18-jährigen Jobayer droht jetzt genau das.

Zur Erklärung: Stellt ein Flüchtling einen Asylantrag, ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Bewerber nach einem komplexen Verfahren – dem sogenannten Königsteiner Schlüssel – Erstaufnahmeeinrichtungen bestimmter Bundesländer zu. Dass die Jugendlichen vorher monatelang schon erste Schritte in Bielefeld gemacht und hier auch Schul- und Berufsausbildungen begonnen haben, scheint dann nicht zu zählen. Trotzdem gibt es Spielraum.

Sajibs "Verteilung" nach Bayern, wo er seine Ausbildung nicht hätte fortführen dürfen, wurde zurückgenommen. Sajib durfte nach politischer Intervention und aufgrund seiner guten Ausbildungsperspektiven doch in Bielefeld bleiben. Frauke Ley vom Oberbürgermeisterbüro betonte, dass man das Problem auf Landesebene lösen wolle. Doch das dauere.

Natürlich werden in der Zwischenzeit weitere junge Flüchtlinge volljährig. Mindestens 16 Jugendlichen, die derzeit in Bielefeld Deutsch lernen und eine Schulausbildung machen, droht in den kommenden sechs Monaten das gleiche Schicksal.

Der junge Jobayer etwa ist vor zwei Jahren aus Bangladesch nach Bielefeld gekommen. Heute besucht er das Carl-Severing-Berufskolleg und ist als begeisterter Badmintonspieler an der Ausrichtung der Deutschen Meisterschaft in der Seidenstickerhalle beteiligt gewesen. Kurz vorher wurde er aber 18. Bis vor Kurzem hatte es in solchen Fällen gereicht, über ein Abschiebeverbot eine Aufenthaltserlaubnis zu erwirken. Doch neuerdings ist in diesen Fällen oft ein Asylantrag nötig.

Die Ampelregierung ist deshalb vom Bielefelder Verein "AK Asyl" um Hilfe gebeten worden. Bürgermeisterin Karin Schrader (SPD) hat daraufhin mit Jobayer die Ausländerbehörde aufgesucht und schnell gemerkt, "dass wir auf unserer Ebene kaum helfen können". Mit unterschiedlichen (finanziellen) Begehrlichkeiten haben dabei Land und Bund mitzureden. Immerhin konnte Schrader für den 18-Jährigen einen Aufschub bis heute erwirken, nachdem er eine Identität nicht belegen konnte.

Politisch strebe man einen Kompromiss an, nach dem zumindest die gut integrierten Flüchtlinge, die in Ausbildungen stecken, hier bleiben sollen, heißt es. Als Voraussetzung erwartet die Ausländerbehörde aber zwingend einen Identitätsnachweis. Ein Sachbearbeiter soll Jobayer vorgeworfen haben, er benutze bei seinem Facebook-Profil einen anderen Nachnamen. Das führte zu großem Unverständnis in seinem Umfeld, und man vermutete gezielte Hürden. Dabei hatte ihm eine Lehrerin zu dem Alias-Namen geraten.

Schrader findet einen Nachweis dennoch logisch. Viele Flüchtlinge gäben aus Angst oder Unkenntnis falsche Namen an. Damit sie später deshalb nicht ausgewiesen werden können, versuche man mögliche Falschangaben so früh wie möglich zu korrigieren. "Ein Schüler- oder Vereinsausweis aus dem Herkunftsland reicht ja aus", erklärt Schrader. "AK Asyl aber sieht da Probleme."

Zübeyde Duyar von AK Asyl: "Die wenigsten können ihre Flucht vorbereiten. Die retten ihr Leben, nicht ihre Dokumente." Es sei doch paradox, Dokumente aus einem Land einzufordern, in dem man verfolgt worden ist.

Jobayers Aufschub hat sich dennoch gelohnt: Laut Duyar sei es ihm gelungen, einen alten Schülerausweis aus Bangladesch geschickt zu bekommen. "Das müsste reichen", so Duyar. Trotzdem sei eine dauerhafte Lösung dringend nötig.

[FOTO] Bürgermeisterin Karin Schrader. Setzt sich ein | FOTO: REIMAR OTT

Info: Frühzeitig zuweisen ist schwierig

Experten aus Dortmund und Wuppertal kennen das Bielefelder Problem nicht.

Sie weisen die Minderjährigen frühzeitig der Kommune zu, so dass mit Volljährigkeit keine Verteilung droht.

Aufgrund der neuen Clearingstellen ist das in Bielefeld aber nicht so einfach.

Wer noch in Clearingeinrichtungen lebt, kann von Detmold noch keiner Kommune zugewiesen werden.

Die Stadt könnte das in Eigenregie tun, dann fiele der Flüchtling aber nicht mehr unter die kommunale Aufnahmequote. Die Stadt bliebe somit auf den Kosten sitzen.