Neue Westfälische: Rechte Parolen unhörbar
500 Demonstranten übertönen Pro-NRW-Kundgebung / Eierwurf sorgt für Ärger
VON JENS REICHENBACH
Bielefeld. Zum zweiten Mal innerhalb von neun Monaten haben rechtsextreme Pro-NRW-Aktivisten Bielefeld als Ziel ihrer Stammtisch-Parolen ausgesucht. Doch die neun aus dem Rheinland angereisten Rechtsausleger fanden vor der Flüchtlingsunterkunft an der Gütersloher Straße – wie schon im Mai 2012 vor der Vatan Moschee – kein Gehör. 500 Gegendemonstranten gelang es, die Wortbeiträge der Rechtspopulisten deutlich zu übertönen.
Das Ziel von Pro NRW, direkt vor der Erstaufnahmestelle gegen Asylmissbrauch zu protestieren, scheiterte sogar zweifach. Sozialpfarrer Matthias Blomeier hatte im Vorfeld noch von einem „fundamentalen Einschüchterungsversuch“ der Bewohner gesprochen. Doch laut Zübeyde Duyar vom AK Asyl waren alle Bewohner lange vor Eintreffen der ersten Demonstranten weggefahren worden – zur Zentralen Ausländerbehörde Am Stadtholz. Dort mussten auch Kranke und Kinder bis 14 Uhr warten. Von den Protesten bekamen sie nichts mit.
Wer Montagvormittag zur Gütersloher Straße gekommen war, bekam dafür umso mehr von der Solidarität und Weltoffenheit der Bielefelder mit. Trotz Kälte und Arbeitsalltag hatten sich letztlich 500 Gegendemonstranten auf den Weg gemacht. Die Polizei meldete sogar 700 Demonstranten. Darunter zahlreiche Arbeitnehmer, einige Politiker und viele Schüler – so etwa zwei 9. Klassen von der Marktschule, die die Demo sogar im Unterricht vorbereitet hatten, sowie einige Gesamtschüler von der Rosenhöhe.
Als die neun Pro-NRW-Aktivisten kurz nach 11 Uhr mit zwei Kleinbussen an der Gütersloher Straße eintrafen, brach ein lautstarker Proteststurm los. Die zu erwartenden Worte der Rechtsextremen waren nicht mehr zu verstehen. Provokative Plakate, wie noch im Mai vor der Moschee, hielt niemand in die Luft.
Dafür aber ließ es sich Pro-NRW-Vize Jörg Uckermann (44) nicht nehmen, den zuvor mit der Polizei vereinbarten Abstand zwischen beiden Lagern zu missachten. „Zweimal wollten ihn Polizisten zurückhalten“, sagte Polizeisprecher Norbert Horst. Uckermann setzte aber auf Provokation und erreichte damit zumindest einen, der dem 44-Jährigen tatsächlich aus rund 45 Metern ein rohes Ei an den Kopf warf. Er sank laut Polizei „mit einer Schürf- und Kratzwunde unterhalb des Auges“ zu Boden. Ein Rettungswagen musste den Leichtverletzten ins Krankenhaus bringen. Er erstattete Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Werfer wurde nicht identifiziert. Um 12.20 Uhr verließ Pro NRW den Kundgebungsort.
Oberbürgermeister Pit Clausen sprach von einem deutlichen Zeichen gegen Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit. Klaus Rees (Grüne) sprach von einem Superergebnis: „Unser Konzept ist aufgegangen. Die Bielefelder sind gekommen und haben gezeigt, dass diese Parolen hier keinen Boden finden.“ Wiebke Esdar vom Bündnis gegen Rechts freute sich, dass nichts zu hören war. „Der Eierwurf ist natürlich Käse. Wir wollten friedlich demonstrieren. Aber man sollte das auch nicht aufbauschen. Es war nur ein Ei.“
Frank Gockel vom AK Asyl nutzte die Gelegenheit für Kritik an OB Clausen und der Politik. Clausen hatte erst kürzlich das erste Mal die Erstaufnahmestelle besucht. „Ich wünsche mir, dass jedes Ratsmitglied eine Nacht in der Unterkunft übernachten soll. Dann würden nicht nur Sprüche geklopft, sondern endlich die Verhältnisse dort drin geändert.“
[FOTO 1] Auf Provokation folgt ein Ei: Pro-NRW-Vize Jörg Uckermann (blaue Jacke) ist soeben von einem rohen Ei am Kopf getroffen worden. Polizisten hatten ihn gerade aufgefordert, Abstand zu halten. Reste des Eis beschmutzen gleich die Hose der Beamtin in der Mitte. FOTOS: SARAH JONEK
[FOTO 2] Achtung: Ein Polizist hält die Augen offen (links), Bürgeramtsleiter Rüdiger Schmidt hat im 3. Geschoss des leeren Flüchtlingsheims einen guten Überblick (oben).
[FOTO 3] Breite Front: Rund 350 Gegendemonstranten machten sich am Vormittag mit Bannern, Plakaten und Flaggen auf den Weg zur Flüchtlingsunterkunft. Im Laufe des Vormittags wuchs die Zahl noch auf 500 an.
KOMMENTAR: Ein unheimlich dummes Ei
Eierwurf bei Pro NRW
VON JENS REICHENBACH
Die Auftritte der Rechten – wie der von Pro NRW gestern – erscheinen oft wie alberne Spielchen halbstarker Jungs. Erst genießen sie unter lautem Protest der breiten Gegenbewegung die kurze Zeit der Aufmerksamkeit, die ihnen sonst niemand gewährt. Und dann folgt der typische Gockellauf.
Einer von ihnen geht auf die Gegendemo zu, macht wegwerfende Handbewegungen oder hält den Daumen nach unten. So war es im Mai 2012 in Brackwede. Und so war es auch gestern vor dem Asylbewerberheim. Diesmal hatte die Provokation Erfolg: Ein Unbekannter, der das Spiel noch nicht kannte, warf sein rohes Ei, traf und eröffnete den Rechten damit genau das, was sie angesichts des Protests bis dahin nicht hatten: eine Bühne.
Während Helmut Kohl, Joschka Fischer und andere Eier- und Farbbeutelopfer Unmut oder Ärger zeigten, starb der wegen Körperverletzung vorbestrafte Pro-NRW-Mann gestern lieber den Märtyrertod und ließ sich fast ohnmächtig abtransportieren.
Das Bielefelder Ei von gestern war sicher auch schmerzhaft, es war aber vor allem eines: unheimlich dumm.
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