02.07.2015

Neue Westfälische: Hunderte Flüchtlinge in Bielefeld gestrandet

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Stadt beruft Krisenstab ein / Auch Dortmund betroffen / Windpocken in Quartieren

VON JENS REICHENBACH UND MATTHIAS BUNGEROTH

Bielefeld. Die Zahl der in Bielefeld und ganz Nordrhein-Westfalen ankommenden Flüchtlinge steigt dramatisch an. Die Stadt Bielefeld berief den Krisenstab ein und forderte 400 Feldbetten an, um die ankommenden Menschen unterbringen zu können. Zwei Turnhallen werden als Notunterkünfte hergerichtet. Ähnlich zugespitzt ist die Situation in Dortmund, wo es ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung gibt.

"Die Situation ist sehr angespannt", so beschreibt Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg, die aktuelle Situation in NRW. Die Behörde ist für die Verteilung der Flüchtlinge im Bundesland zuständig. Allein in Bielefeld trafen innerhalb von zwei Tagen 605 neue Flüchtlinge ein, wie Thorsten Böhling, Leiter der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) in Bielefeld, erklärte. Die reguläre Kapazität liegt aktuell bei lediglich 250 Plätzen.

"Wir konnten den Standard nicht halten, pro Flüchtling ein Bett oder ein Hotelzimmer bereitzustellen", so der Bielefelder Feuerwehrchef Rainer Kleibrink. Erstmals in der Geschichte der Stadt trat der Krisenstab mit etwa 25 Experten zusammen, um die Situation schnell in den Griff zu bekommen.

Am frühen Abend waren noch gut 120 Flüchtlinge ohne Unterkunft. Sie sollen vorübergehend in den beiden Turnhallen untergebracht werden. "Das ist eine Lösung, die wir für angemessen halten", so Kleibrink. Durch Toilettenwagen sollen die sanitären Anlagen dort vermehrt werden. "Wir haben extrem viele Zugänge im Moment", sagte Böhling. Die Ankunftszahlen in Bielefeld sind selbst pro Nacht auf bis zu 200 angestiegen.

Bei Temperaturen von deutlich über 30 Grad Celsius mussten die Flüchtlinge tagsüber teilweise im Freien ausharren, bis sie offiziell registriert waren. "Niemand hat die Nacht im Freien verbracht", unterstrich Böhling. Die meisten der zurzeit neu ankommenden Flüchtlinge stammen aus Syrien, dem Irak und Albanien.

Allein am Mittwoch gab es landesweit 838 neue Flüchtlinge in NRW. "Einer der Spitzentage", so Söbbeler. Die Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund mit 350 Plätzen sei mit zeitweise 800 Menschen "mehrfach überbelegt" gewesen. "So etwas ist nicht planbar", so Söbbeler. Die Gesamtsituation sei darüber hinaus auch deshalb angespannt, weil in 6 der 22 Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) derzeit Windpocken ausgebrochen sind. Dazu zählt laut Söbbeler auch die ZUE in Bad Driburg. Während der Inkubationszeit gebe es in der Regel keine Zu- und Abgänge in diesen Einrichtungen. Die Entscheidung liege bei den jeweiligen Behörden vor Ort, so Söbbeler.

Insgesamt verfügt NRW nach Angaben Söbbelers über rund 11.000 Plätze für Flüchtlinge. "Wir werden weiter aufstocken", denn die Behörden rechnen mit anhaltend hohen Flüchtlingszahlen. Bundesweit werden in diesem Jahr 450.000 Flüchtlinge erwartet. Davon müsste NRW nach dem "Königsteiner Schlüssel" etwa 20 Prozent aufnehmen. Söbbeler: "Das ist eine große Herausforderung für alle Ebenen." Doch schon jetzt sind die Experten überzeugt, dass diese Prognose noch übertroffen wird.