04.05.2015

Neue Westfälische: Geschlossene Gesellschaft

Zeitungsausschnitt

Lokales Bielefeld - Seite 11

REPORTAGE: Wenn Asylbewerber tanzen wollen - die NW hat 13 Männer eine ganze Nacht lang begleitet

VON MIRIAM SCHARLIBBE

 

Bielefeld/Herford. Vor der Tür ist es kalt. Dahinter warten Wärme, Musik und das Gefühl dazuzugehören. Wer es bis zur Garderobe schafft, hat den Test bestanden. Die härteste Tür Deutschlands führt angeblich in den Münchener Promiclub P1. Doch auch die Türschwellen zu Ostwestfalens Diskotheken können unüberwindbar werden. Mit den falschen Schuhen. Mit dem falschen Hemd. Mit der falschen Hautfarbe.

Die Erwartungen der 13 jungen Männer aus Guinea, Albanien, Aserbaidschan, dem Kosovo, Syrien, Eritrea, Irak und dem Libanon sind an diesem Abend niedrig. Sie wollen ausgehen. Ein wenig tanzen. Jung sein. Gemeinsam mit NW-Redakteurin Miriam Scharlibbe, zwei jungen Deutschen und Erhard Krull, der sich für die Rechte der Asylbewerber einsetzt, machen sie den Test an den Diskotüren in Herford und Bielefeld.

Die Männer fühlen sich wohl in Deutschland. Die Zeit, in der sie wegen ihres Aussehens oder ihrer Religion verfolgt wurden, ist zu Ende. So hat man es ihnen versprochen.

Der Test beginnt an der Tür zum Herforder X. An diesem Abend soll zu Rockabilly und aktuellen Hits aus den Charts getanzt werden. Die beiden blonden Köpfe, die den Vergleichstest machen, werden durchgewinkt, die zwei Männer mit dunklen Haaren und ihr Begleiter mit ebenso dunkler Haut abgewiesen. Die Beobachterin mit dem Notizblock in der Tasche fragt nach.

Die drei waren zuvor noch nie in dieser Disko. Dennoch meint der Türsteher, den einen als auffälligen Stammgast wiederzuerkennen. "Außerdem haben wir Samstagsabends im X immer viele schwule und lesbische Gäste", sagt der Sicherheitsmann. Die seien oft auffällig gekleidet und würden nicht von fremden Männern ausgelacht werden wollen. Die Disko wirbt mit dem Slogan "No name. No limits." Doch die Tür bleibt für den dunkelhäutigen Mann zu. Er sagt: "Ich könnte doch auch schwul sein."

Beim Versuch Nummer zwei in der Hansestadt teilt sich die Gruppe auf. Die Reporterin und ihr deutscher Begleiter erhalten problemlos Eintritt im Go Parc. Im Eingangsbereich verfolgen sie die Versuche der Asylbewerber. Ein 18-jähriger Herforder hätte Eintritt erhalten, aber nur ohne seinen Freund aus dem Libanon. "Ey, du warst doch gerade schon einmal hier. Du kommst hier nicht rein, keine Chance", drückt sich der Mann mit dem Knopf im Ohr unmissverständlich aus. Der Abgewiesene ist irritiert. Es war sein erster Versuch an dieser Tür. Ein dunkelhäutiger Freund wird wenig später mit der Begründung zurückgehalten, er könnte nur alleine Eintritt erhalten. Als er seine zwei Begleiter wegschickt und sich auf das Versprechen des Türstehers berufen möchte, bleibt der hart. Keine Diskussion. Auf Nachfrage heißt es, man habe die Gäste nicht gekannt und könne nicht jeden reinlassen. Außerdem seien die jungen Männer ungepflegt gewesen. Ein zwei Meter hohes Plakat verkündet das Motto des Abends: "Stilvoll feiern." Die Hautfarbe spiele bei der Kleiderordnung keine Rolle. Gute Hemden, dunkle Schuhe und ordentliche Jacken haben aber auch nicht gereicht.

Neue Stadt, neues Glück. Im Bielefelder Stereo üben die Türsteher Kritik an den Ausweispapieren. Zwei DIN-A4-Zettel weisen den tanzwilligen Mann aus dem Libanon aus. Der Türsteher ist schon geneigt, das behördliche Dokument zu akzeptieren, konzentriert sich dann aber auf den ausländischen Ausweis des Kollegen. "Der hat keine Adresse. Das geht nicht." Auf die Rückseite hingewiesen, folgt der nächste Einwand: "Die Adresse ist ja durchgestrichen. Weiß ich, ob die neue Adresse, die hier steht, tatsächlich gültig ist?" Der Vergleich mit dem deutschen Personalausweis der Redakteurin, deren Adressfeld nach einem Umzug ebenfalls überklebt wurde, hilft nicht. "Ja, diese Ausweise kennen wir ja." Immerhin wird ein Grund für die Wohnsitzrecherche genannt. "Wir haben hier ein Bezahlsystem mit Karte. Wenn die einer verliert, müssen wir sicher sein, dass sich derjenige ausweisen kann. Sonst bleiben wir auf den Kosten sitzen."

Nebenan wird eine neue Strategie getestet. Aber auch als Paar - deutsche Frau, libanesischer Mann - heißt es in der Internationalen Bierbörse: "Bitte draußen bleiben." Das kommunale Dokument wird nicht akzeptiert. "Nein, das machen wir nicht. Das ist zu viel Aufwand mit solchen Zetteln. Wir brauchen einen gültigen Ausweis." Während der Sicherheitsmann das sagt, versuchen drei andere Mitglieder der Gruppe - alle mit deutschem Ausweis - ihr Glück. Der Türsteher verzieht keine Miene. Bitte umdrehen.

Auch der Versuch auf der anderen Seite der Gleise endlich Einlass in einen Club zu erhalten scheitert. Der deutsche Junge und die zwei Syrer versuchen es im Movie. So schnell wie sie im Vorraum verschwinden, sind sie wieder zurück auf der Straße. Im Programm heißt es, samstags würden nur ältere Gäste zugelassen. Aber bis zur Altersfrage kommt es gar nicht. Kein Einlass. Kein Interesse daran, die Ausweise zu sehen.

Vor dem Café Europa ist die Schlange um 00.30 Uhr noch nicht lang. Erneut versuchen es drei der Männer in Begleitung des blonden Herforders. Der erste Türsteher akzeptiert die Dokumente. Direkt vor der Tür ist dann Schluss. "Bitte sofort zur Seite rausgehen. Und ihr da hinten braucht gar nicht erst kommen, wir haben heute Abend nur Einlass für Stammgäste." Dann die Überprüfung: Als Frau ohne Begleitung reichen wenige Schritte in seine Richtung, da springt der Türsteher herbei. "Willst du auch reinkommen? Kennst du unser System?" Der Hinweis darauf, dass man gerade erst vom Studium aus einer anderen Stadt zurückgekommen sei, sollte reichen um sich als Gegenteil eines Stammgastes zu präsentieren. Doch von Gästeliste ist keine Rede. "Nein", sagt der Türsteher, "heute haben wir keine besondere Veranstaltung."

Kann es am Geschlecht liegen? Eher nicht. Zwei türkisch- stämmige Mädchen, die nicht zur Testgruppe gehören, werden ebenfalls abgewiesen.

Es finden sich um diese Zeit nur noch wenige Worte für das Erlebte. Der Ringlokschuppen soll die Odyssee beschließen,. Anfang März waren die Asylbewerber dort schon einmal gescheitert. Ausgerechnet am Welttag gegen Rassismus passte die Gruppengröße nicht zum Konzept der Großraumdiskothek. Tanzen bitte nur mit Voranmeldung. Der Versuch, sich diesmal aufzuteilen, wird vom Türsteher durchschaut. Zumindest nennt er dies als Begründung für die wiederholte Absage. Diesmal bleibt der Presseausweis nicht in der Tasche. Immerhin, die Reporterin darf eine Runde durch die Disko drehen, um sich von der Pluralität der vertretenen Nationalitäten zu überzeugen. Der schnelle Blick erfasst viele blonde Köpfe, wenige dunkle. Aber vor der Garderobe stehen zwei Männer mit dunkler Hautfarbe: Nein, heute Abend seien sie ohne Probleme reingekommen. Aber sie kennen das Gefühl der Zurückweisung. "Im Go Parc oder im Elephant Club haben wir keine Chance."

Die Bilanz um zwei Uhr nachts: Vier Stunden, zwei Städte, sieben Diskotüren, nicht ein einziges Mal wurde den Asylbewerbern Eintritt gewährt. Hinter jeder Tür: Geschlossene Gesellschaft.

Aus der Stadt, die gerne groß sein möchte, geht es zurück aufs Land, wo die Menschen oft kleinlich sein sollen. In Spenge, wo die Asylbewerber derzeit wohnen, wird noch im Wald getanzt. Tür Nummer acht öffnet sich problemlos für die erschöpfte Gruppe. Im Kings Castle darf jeder König des Parketts sein. "Sing Hallelujah", schallt es aus den Boxen. Die Arme gehen in die Luft. Calvin Harris und Ellie Goulding singen "Show you how it feels like, now I?m on the ouside". Zum Abschluss die Frage an den irritierten Türsteher: "Warum habt ihr uns reingelassen?" Auch er ist kein Mann vieler Worte, aber es sind die ersten, die an diesem Abend logisch erscheinen: "Wir lassen jeden rein, der friedlich ist. Wer Ärger macht, fliegt dann eben wieder raus."