Neue Westfälische: Flüchtling findet neue Familie
Das Bielefelder Ehepaar Sabine und Ralf Sauk will jungen Asylbewerber aus Afghanistan adoptieren
Von Hubertus Gärtner
Bielefeld. Wenn Abbas Alizada (18) seine Geschichte erzählt, dann ist sehr oft von großer Angst die Rede. Der junge Mann aus Afghanistan schildert in gebrochenem Deutsch die Umstände seiner wochenlangen Flucht. Sie führte ihn 2012 vom Iran in die Türkei, weiter nach Griechenland und Deutschland. Seit etwa einem halben Jahr hat Alizada in Bielefeld nun "sein zweites Leben gefunden", wie er es selbst ausdrückt.
Vielleicht hatte es das Schicksal so bestimmt, vielleicht war es auch nur ein glücklicher Zufall. Das Ehepaar Sabine und Ralf Sauk aus dem Bielefelder Stadtteil Jöllenbeck hat Abbas Alizada ins Herz geschlossen und möchte ihn adoptieren. "Wir haben keine eigenen Kinder und wollen einfach nur sozial schwachen und bedürftigen jungen Menschen helfen", sagt Ralf Sauk, der zusammen mit seiner Ehefrau eine Feinkostmanufaktur betreibt und Wochenmärkte in der Umgebung bestückt.
"Unser letzter Azubi war ein Analphabet", sagt Sauk und versprüht dabei puren Optimismus und Lebensfreude. Ginge es nach ihm, hätte die Humanität wohl schon längst das Böse in der Welt besiegt.
Im Frühjahr vergangenen Jahres habe man sich an die Stadt Bielefeld gewandt und mitgeteilt, dass man im eigenen Haus eine Dreizimmerwohnung für junge traumatisierte Flüchtlinge anbieten könne, erzählt Sabine Sauk. In ihrer ersten Reaktion sei die Behörde noch etwas verwundert und zurückhaltend gewesen. Dann habe man einen Mitarbeiter herausgeschickt. Dieser habe sich die Wohnung angesehen und für das Angebot gedankt.
Am 21. Mai 2014 seien dann zwei Sozialarbeiter zusammen mit Abbas Alizada erschienen. "Es war kein Dolmetscher dabei, aber trotzdem war allen Beteiligten sofort klar, dass Abbas eines der Zimmer bekommt", erzählt Sauk. Am ersten gemeinsamen Abend habe man das Weltmeisterschaftsspiel zwischen Deutschland und Portugal zusammen im Fernsehen angeschaut. Trotz der anfänglichen sprachlichen Verständigungsprobleme seien sich der junge Asylbewerber aus Afghanistan und das deutsche Ehepaar "auf Anhieb sympathisch" gewesen. Am Tag des Einzuges, Ralf Sauk erinnert sich sofort an das exakte Datum, es war der 3. Juli 2014, "hat Abbas plötzlich abends den Kopf auf mein Schulter gelegt und ganz bitterlich geweint".
Alizada war nach eigenen Angaben im Alter von neun Jahren zusammen mit seiner Familie aus Angst vor den Taliban von Afghanistan in den Iran geflohen, wo man in der Illegalität lebte. Sein Vater habe als Polsterer gearbeitet und mit dem kargen Lohn die Familie durchgebracht. Auch er habe damals als Kind schon mitarbeiten müssen - Polsterer, das sei heute sein Traumberuf.
Die Eltern hätten ihm zur Flucht nach Europa geraten und die entsprechenden Vorbereitungen getroffen, erzählt Alizada. Ein Schleuser habe ihn dann über die Grenze in die Türkei gebracht. Zusammen mit etwa 30 anderen Flüchtlingen seien sie Tag und Nacht marschiert. "Pakistanis waren dabei und Menschen aus Bangladesch."
Beim nächtlichen illegalen Grenzübertritt habe die iranische Polizei geschossen, sechs Flüchtlinge seien tödlich getroffen worden. Alizada kam unverletzt durch und wurde zusammen mit anderen Flüchtlingen auf einem Lastwagen quer durch die Türkei transportiert. Mit einem Schlauchboot sei man dann in der Nacht nach Griechenland übergesetzt. "Es war nicht groß, und wir hatten alle schreckliche Angst, dass es wegen der hohen Wellen untergehen würde", sagt Alizada.
Über Umwege besorgte seine Familie ihm einen falschen Pass und ein Flugticket. An einem grauen Novembertag 2012 flog Alizada von Saloniki dann nach Düsseldorf. "Deutschland war für mich ein völlig unbekanntes Land, und ich hatte immer noch große Angst, dass mir etwas Schlimmes passiert", erzählt er.
Als er gelandet war, wurde er bei der Passkontrolle von der Bundespolizei abgefangen und in die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge nach Bielefeld gebracht. Hier lebte Alizada mehrere Monate in einer Asylunterkunft. Dann musste er mehrfach über einen längeren Zeitraum in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden, weil er stark traumatisiert war und unter heftigen Angstzuständen litt.
Aktuell macht der Gesundheitszustand von Alizada, der nach aktuellem Stand einen Duldungsstatus in Deutschland bis zum 31. März hat, wieder Fortschritte. "Ich habe immer noch etwas Angst, wenn es dunkel ist, aber es wird immer besser", sagt er. Wie das Ehepaar Sauk berichtet, lernt ihr Mieter nun fleißig Deutsch in einer Bielefelder Sprachschule. In seiner Freizeit helfe er in der Feinkostmanufaktur. "An Silvester haben wir uns gegenseitig ein frohes neues Jahr gewünscht", sagt Ralf Sauk. Alizada habe sich "mit Tränen in den Augen dafür bedankt, dass er in den letzten Monaten viel mehr als nur ein Zimmer in einer Wohnung" gefunden habe.
"Wir leben und fühlen wie eine Familie", sagt Sauk. "Deshalb sind wir nun fest entschlossen, Abbas zu adoptieren." Die ersten Notartermine hätten bereits stattgefunden. Alizada, blickt von einem zum anderen: "Wenn das klappt, würde ich mich sehr freuen."
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