19.06.2014

Neue Westfälische: Fluchtpunkte in Ostwestfalen-Lippe

Zeitungsausschnitt

Seite 3 - Politik

Der Platz für Asylbewerber in den Kommunen wird knapp / Arbeitskreis kritisiert Ghettoisierung der Flüchtlinge

Die Zahl von Flüchtlingen, die aus internationalen Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland kommen, nimmt immer weiter zu. Erst kürzlich hat die Innenministerkonferenz beschlossen, 10.000 weitere Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Vor dem Weltflüchtlingstag am 20. Juni mahnt der Caritasverband Paderborn noch größere Anstrengungen zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge an. Bisher liege Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur im Mittelfeld. Doch die Kommunen, die Flüchtlinge und Asylbewerber unterbringen müssen, stoßen schon jetzt an ihre Grenzen.

VON KATRIN CLEMENS

Syrer

Sogenannte Kontingentflüchtlinge stammen aus Krisenregionen, kommen meist über humanitäre Hilfsaktionen nach Deutschland und werden nach festgelegten Zahlen auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Derzeit trifft das auf syrische Flüchtlinge zu. Sie besitzen einen Sonderstatus unter den Flüchtlingen: Im Gegensatz zu Asylbewerbern aus anderen Ländern bekommen sie bei ihrer Ankunft sofort ein gesichertes Aufenthaltsrecht. Vom Aufnahmelager im niedersächsischen Friedland werden sie einzelnen Kommunen zugewiesen. Die Berater versuchen dabei, soziale Umstände zu berücksichtigen. Wer zum Beispiel enge Verwandte in Bielefeld hat, hat bessere Chancen, auch in OWL untergebracht zu werden, als andere.

Der Lange Weg zum Asyl

Wer als Asylbewerber nach Nordrhein-Westfalen kommt, lebt zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Landesweit gibt es davon zwei, eine in Dortmund und eine in Bielefeld. Die Bielefelder Erstaufnahmeeinrichtung bietet Platz für 250 Flüchtlinge, bis August 2015 soll die Kapazität auf 450 Plätze erweitert werden.

Dort werden alle neuen Bewohner zunächst per Röntgenbild auf Tuberkulose getestet. Nach kurzer Zeit müssen sie in eine zentrale Unterbringungseinheit umziehen. Doch auch in diesen Unterkünften reicht der Platz schon lange nicht mehr aus, so dass das Land mehrere Notunterkünfte eingerichtet hat und ständig auf der Suche nach weiteren Immobilien ist.

Die Bezirksregierung Arnsberg weist die Asylbewerber anschließend den Kommunen zu. Ehepaare und Familien mit minderjährigen Kindern haben das Recht, zusammen vermittelt zu werden. Wie viele Asylbewerber einer bestimmten Kommune zugewiesen werden, hängt von der jeweiligen Bevölkerungszahl sowie der Fläche ab.

In den Kommunen warten die Flüchtlinge auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag. Im Durchschnitt dauert ein Asylverfahren in Deutschland sieben Monate. Davor liegt noch die oft lange Odyssee der Flüchtlinge von ihrem Heimatland nach Europa.

Finanzierung

Für Grundleistungen wie Lebensmittel, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Taschengeld sowie die Versorgung kranker oder schwangerer Asylbewerber müssen die Kommunen aufkommen. Zusätzlich bekommen sie Unterstützung vom Land. Pro Asylbewerber erhalten die Städte und Gemeinden eine vierteljährliche Kostenpauschale in Höhe von 990 Euro. Hinzu kommen 46 Euro pro Asylbewerber, die ausschließlich für die soziale Betreuung verwendet werden dürfen. "Wir haben dem Land gegenüber immer wieder deutlich gemacht, dass das nicht reicht", sagt die Bielefelder Sozialamtsleiterin Susanne Schulz. In Bielefeld betreuen fünf Sozialarbeiter insgesamt rund 480 Flüchtlinge, mit der Pauschale könnten die Stellen nicht finanziert werden.

Lebensbedingungen in einem fremden Land

In der Bielefelder Erstaufnahmeeinrichtung leben rund 250 Asylbewerber, meist in Vierbettzimmern. Das Gesundheitsamt schreibt vor, dass für je 20 Personen mindestens eine Dusche und für je 8 Personen mindestens ein WC vorhanden sein muss. Über die Unterbringung in den Kommunen dürfen diese selbst entscheiden. Sie haben die Wahl zwischen großen Sammelunterkünften und einer dezentralen Unterbringung in mehreren Wohnungen.

"Unserer Meinung nach schafft so eine zentrale Unterbringung eine Ghettoisierung", sagt Jana Ilic vom Bielefelder Arbeitskreis Asyl. Vor allem Behinderte, ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern würden leiden, wenn sie monatelang auf engstem Raum mit fremden Menschen leben müssten. Besonders schwierig wird der Alltag, wenn die Unterkunft weit außerhalb liegt oder die deutschen Mitbürger sich einer Integration der Flüchtlinge verweigern.

Die Einstellung gegenüber Flüchtlingen ist Ilic zufolge sehr unterschiedlich. "Es gibt viele, die sich solidarisch zeigen und sich ehrenamtlich engagieren oder Kleider spenden", sagt Ilic. "Aber auf der anderen Seite gibt es auch Vorbehalte, Angst und Abschottungsgedanken." Als Vorbild gilt die Gemeinde Nieheim im Kreis Höxter. Dort hatten sich die Bürger für die Weiterführung einer zentralen Unterbringungseinrichtung eingesetzt, die zeitlich begrenzt war. Zwar hatte die Unterschriftenaktion keinen Erfolg, aber sie hat ein Zeichen gesetzt.

[GRAFIK] Die Grafik zeigt die Anzahl der Asylbewerber, die den einzelnen Kommunen zwischen Januar und Mai zugewiesen wurden.