01.11.2014

Neue Westfälische: Einsatz für einsamen Flüchtling

Zeitungsausschnitt

Seite 9 - Lokales Bielefeld

Weil die Ausländerbehörde am späten Abend verschlossen war, nimmt Bernd Vollmer Somalier auf

VON ARNO LEY

Bielefeld. Der junge Mann sah so aus, als ob er etwas suchen würde, sagt Bernd Vollmer. Die beiden begegneten sich am Hauptbahnhof. Es war kurz nach 23 Uhr. "Ich habe ihn angesprochen, weil er einen Zettel in der Hand hielt." Darauf war der Fußweg zur Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) am Stadtholz markiert. Vollmer begleitete ihn dorthin. Der Flüchtling aus Somalia kam aus Bayern. Dort war er in einen Zug nach Bielefeld gesetzt worden. Als Vollmer die ZAB verschlossen vorfand, nahm er den Mann für die Nacht mit nach Hause.

Täglich kommen gegenwärtig Dutzende Flüchtlinge nach Bielefeld. Ihre erste Adresse ist die Zentrale Ausländerbehörde. Dort werden sie registriert. Von dort bekommen sie ihre Unterkunft zugewiesen. Das wusste der junge Mann aus Somalia, denn für ihn war Bielefeld nicht die erste Station in Deutschland. Er kam aus Bayreuth.

Wie er nach Bayern kam, darüber schweigen die Behörden: Datenschutz. Ob er ihnen die Wahrheit über seine sicherlich nicht ungefährliche Reise gesagt hat, die ihn schon durch andere europäische Länder geführt haben dürfte, steht auf einem anderen Blatt.

Der junge Mann ist nach eigener Aussage 20 Jahre alt. "Er sieht jünger aus", bestätigen auch Behördenvertreter. Vollmer hielt ihn für minderjährig. Da die Aufnahmeeinrichtungen in Bayern überfüllt sind, werden einige Flüchtlinge anderen Bundesländern zugewiesen. So bekam der junge Mann einen Fahrschein für die Bahn und wurde in Bayreuth in den Zug gesetzt.

Die Bayern halten es offenbar nicht für notwendig, die Aufnahmestellen in den Zielorten zu informieren. "Wir wussten nicht, dass er kommen würde", sagt Thorsten Böhling von der Bielefelder ZAB.

Die Aufnahmestelle schließt montags bis freitags um 16 Uhr. "Danach gibt es dort bis Mitternacht einen Pförtner", erklärt Böhling. Der bestellt für Spätankömmlinge ein Taxi und lässt sie zum Flüchtlingswohnheim an der Gütersloher Straßen nach Brackwede bringen. "Im Hauptbahnhof können die Menschen sich auch an die Bundespolizei wenden. Auch die hilft ihnen weiter", berichtet Böhling. Das wusste der Mann aus Somalia wohl nicht.

Vollmer sprach ihn in der Stadtbahnhaltestelle an. "Ich weiß wie das ist, wenn man mittellos in einer fremden Stadt ankommt." Ähnliches hatte er bei einer Reise in seiner Jugend in Kolumbien selbst erlebt. "Dort waren die Menschen zu mir sehr hilfsbereit. Das hat mich beeindruckt", erklärt er.

Was der Flüchtling und er dann feststellen mussten, war letztlich eine Kette von Pannen. Der Bahnfahrschein gilt nicht für den Nahverkehr in Bielefeld. Doch Vollmer besitzt ein Umweltticket. Nach 19 Uhr darf er eine weitere Person mitnehmen. Mit dem Bus ging es also gemeinsam Richtung Stadtholz.

"Eigentlich sollte das Gitter so weit geöffnet sein, dass Fußgänger ins Haus können", erklärt Böhling. Doch der Weg an der Pforte vorbei in die ZAB war versperrt. "Im Haus brannte Licht", berichtet Vollmer. Die Öffnungsanweisung an das Personal eines Wachdienstes wurde jetzt eigens erneuert.

Eigentlich informiert ein Schild am Eingang darüber, dass die Flüchtlinge sich bei verschlossener Tür an die Hauptwache der Polizei am Kesselbrink wenden sollen. "Das Schild ist in mehreren Sprachen verfasst." Nur fehlt es zur Zeit. Weil viele Flüchtlinge wie der Somalier am späten Abend ankommen, wurden die Öffnungszeiten des Pförtnerdienstes verlängert. Der Hausmeister hat das Schild abgeschraubt, um die Zeitangaben zu ändern.

Eigentlich gibt es am Eingang eine Klingel. "Die haben wir nicht gesehen", sagt Vollmer. Kurzentschlossen nahm er den Mann mit zu sich nach Hause. "Der hat im Wohnzimmer übernachtet. Und am Morgen gab es ein richtiges deutsches Frühstück." Vollmer, nicht nur hilfsbereit, sondern als freier Journalist und Kommunalpolitiker der Linken auch interessiert am Schicksal der Flüchtlinge, brachte den Mann danach persönlich zur ZAB. "Da habe ich mich erst richtig erschrocken. Da waren schon mindestens 50 weitere Flüchtlingen", sagt er.

Der Somalier hat inzwischen ein Bett in einer Unterkunft am Segelflugplatz in Oerlinghausen zugewiesen bekommen. Das betreiben die Johanniter seit Anfang Oktober in der ehemaligen Hellweg-Klinik des evangelischen Johanniswerks. Die bieten ihm auch den ersten Deutschkursus an.

[FOTO] Verschlossen: Als Bernd Vollmer den Flüchtling zur ZAB brachte, fanden sie dort keinen Einlass. FOTO: ANDREAS FRÜCHT