03.04.2015

Neue Westfälische: Ein Leben in Angst

Zeitungsausschnitt

Kreis Paderborn - Seite 26

Almir S. wird im Kirchenasyl vor der Abschiebung nach Serbien geschützt

VON NICOLE HILLE-PRIEBE

Kreis Paderborn/Bielefeld. Almir S. ist ein ruhiger, junger Mann. Erst am Ende des Pressegesprächs, zu dem der Paderborner Flüchtlingsrat eingeladen hat, meldet er sich zu Wort. In der vergangenen Stunde wurde viel über ihn gesprochen und er hatte immer wieder bestätigend genickt. Jetzt möchte der 28-jährige Serbe gerne noch persönlich etwas sagen, aber nach wenigen Sätzen bricht er ab. Schweißperlen sind auf seine Stirn getreten, er wirkt beunruhigt und verängstigt.

Seine Anwältin Judith Herbe hatte zwar noch am Morgen mit der Ausländerbehörde im Kreis Paderborn telefoniert und die Zusage bekommen, dass Almir bei diesem Termin in der Paderborner Innenstadt nicht von der Polizei abgeholt wird, aber die Angst vor der Abschiebung sitzt tief.

Für den jungen Roma ist dieser Ausflug ins Hochstift nicht ganz ungefährlich: Die vergangenen Tage hat er im Kirchenasyl in Bielefeld verbracht, in Sicherheit. "Aber sobald die Betroffenen auch nur einen Fuß vor die Tür setzen, etwa um zum Arzt oder zu ihrem Rechtsbeistand zu gehen, können sie verhaftet werden und in Abschiebehaft kommen", sagt Joachim Poggenklaß. Der Bielefelder Pfarrer ist kirchlicher Organisations- und Konfliktberater im Ökumenischen Netzwerk Bielefeld, das sich um den laut ärztlichem Attest schwer traumatisierten, kranken jungen Mann kümmert.

Die Geschichte von Almir ist eine von vielen, die sich in diesen Tagen in Deutschland abspielen. 2010 kam er zum ersten Mal aus Serbien nach Deutschland, damals mit der ganzen Familie. Als ihr Asylantrag im September 2011 abgelehnt wurde, kehrten sie in ihre Heimat nach Belgrad zurück. Der junge Mann wusste zu diesem Zeitpunkt zwar bereits, dass er homosexuell ist, wollte es aber vor seiner Familie verheimlichen. "Homosexualität ist in Serbien verpönt, und unter Roma ganz besonders", erklärt Judith Herbe, die sich intensiv mit Almirs Leidensweg beschäftigt hat.

Nachdem er sich geoutet hatte, wurde er aus der Gemeinschaft der Roma in Belgrad ausgestoßen und zog mit seinem Freund nach Novi Sad. Die zweitgrößte Stadt Serbiens gilt als "homofreundlichste" und freizügigste Stadt in einem Land, in dem Homophobie fest in der Gesellschaft verankert ist. EU-Menschenrechtskommissare und Organisationen wie Pro Asyl weisen immer wieder auf die Verfolgung und zum Teil lebensbedrohliche Situation von Menschen mit homosexueller Orientierung in Serbien hin. Events wie die "Gay Pride Parade" können nur unter Polizeischutz stattfinden - Almirs Erfahrungen nach zu urteilen, sind die serbischen Behörden allerdings selbst eine potenzielle Gefahr für homosexuelle Roma. Gemeinsam mit seinem Freund sei er nach einer Parade von der Polizei festgenommen und verhört worden, berichtet seine Anwältin. Bis heute kann ihr Schützling nur schwer über die Ereignisse sprechen, die sich ein paar Tage später ereigneten. "Almir und sein Freund wurden in einem Privatauto entführt, von mehreren Personen schwer misshandelt und an einen Baum gefesselt", sagt Judith Herbe.

Im Januar 2014 flüchtete der junge Mann nach Deutschland und bat erneut um Asyl - diesmal unter Angabe seiner sexuellen Orientierung. Als er dann ausgerechnet einem Wohnheim für alleinstehende Männer in Alfen zugewiesen wurde, kam er jedoch praktisch vom Regen in die Traufe. "Es war ihm nicht möglich, dort zu leben", sagt Herbe.

An diesem Punkt bekommt die Geschichte eine Wendung, denn in Borchen lernt Almir Pfarrerin Christel Weber kennen, die dort einen ökumenischen Unterstützerkreis für Flüchtlinge aufgebaut hat. Gemeinsam mit dem Paderborner Flüchtlingsrat wird im Landtag eine Petition auf den Weg gebracht, außerdem ist ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig. Almir schöpft Hoffnung. Als dann trotzdem am 16. März der Abschiebebescheid kommt, bricht er zusammen.

Neun Tage lang wird er in einem Bielefelder Krankenhaus psychologisch betreut, die Ärzte attestieren ihm eine schwere Traumatisierung. "Das Kirchenasyl war in diesem Fall der einzige Ausweg", erklärt Reinhard Borgmeier. Für den Sprecher des Paderborner Flüchtlingsrats ist dieser Weg die Ultmia Ratio - "wenn gar nichts mehr geht". Da sich die Borchener Kirchengemeinden jedoch gerade in einer Umbruchsituation befinden, sah man sich dort nicht in der Lage, Kirchenasyl zu gewährleisten und bat das Ökumenische Netzwerk in Bielefeld um Hilfe.

Dass innerhalb der letzten 24 Stunden Bewegung in den Fall gekommen ist, zeigt einmal mehr, wie prekär die Situation für Flüchtlinge zwischen Duldung und Abschiebung ist. Jörg Cremer, Chef der Ausländerbehörde im Kreis Paderborn, bestätigte am Mittwochnachmittag auf Nachfrage der Neuen Westfälischen, dass die Abschiebung ausgesetzt wurde. "Wir warten das Petitionsverfahren ab." Er betonte jedoch im Gespräch, dass Serbien zu den sicheren Drittländern zähle und sich im Prinzip nichts an der "Vollziehbarkeit der Ausreise" ändere. Almir muss also weiterhin mit der Angst vor Abschiebung leben.