29.08.2014

Neue Westfälische: "Ein Gefühl der Überlegenheit"

Zeitungsausschnitt

Seite 10 - Lokales Bielefeld

INTERVIEW Pfarrer Joachim Poggenklaß über den Umgang mit Minderheiten

Bielefeld. Der Tod des afroamerikanischen Teenagers Michael Brown und die Geschehnisse der vergangenen Wochen in Ferguson, im US-Bundesstaat Missouri, haben ganz unterschiedliche gesellschaftliche Konfliktlinien erneut offen gelegt. Eine davon ist der Umgang mit Minderheiten. Pfarrer Joachim Poggenklaß kennt dieses Thema gut - der 66-Jährige engagiert sich seit den 1980er Jahren in der Flüchtlings- und Kirchenasylarbeit. Seit 2011 ist er Vorsitzender des Arbeitskreises Asyl (AK Asyl) in Bielefeld. Yannick Ramsel hat mit ihm gesprochen.

Herr Poggenklaß, die Ereignisse und Unruhen der vergangenen Wochen im Süden der USA haben die Unzufriedenheit vieler schwarzer Menschen verstärkt hörbar gemacht. Diese fühlen sich als Opfer von Ungleichbehandlung. Gibt es solche Probleme auch in Deutschland?

Joachim Poggenklaß: In anderer Weise. Es gibt natürlich Ungleichbehandlung, aber der Hintergrund ist verschieden. Selbst wenn man dies unter dem Begriff Rassismus fasst, gibt es Differenzen. In den USA gibt es die alte, üble Tradition eines Rassismus gegenüber den zwangsweise hergebrachten Menschen aus Afrika und setzt sich fort gegenüber Einwanderern, die aus dem Süden des amerikanischen Kontinents kommen und im Grunde Flüchtlinge aufgrund des Elends sind. In Deutschland gibt es die rassistische Tradition, die schon vor der Nazizeit begonnen hat und dann aus den Interessen der Nazis heraus auf übelste Weise praktiziert wurde. Was heute davon übriggeblieben ist, ist ein Überlegenheitsgefühl gegenüber Menschen aus anderen, insbesondere wirtschaftlich ärmeren Ländern - der Ursprung liegt also in der Historie verankert. Dies trifft aber nur für einen Teil unserer Bevölkerung zu. Es hat sich schon vieles verbessert.

Wo beginnt in Ihren Augen ungleiche Behandlung?

POGGENKLASS: Oft schon ganz unwillkürlich damit, wie wir Menschen aus anderen Ländern ansehen oder begrüßen. Ich nenne ein Beispiel: Ich bin vor Jahren mit einem Flüchtling in einer Behörde gewesen. Der Mitarbeiter in der Behörde gab mir zur Begrüßung die Hand. Als der Mann, der bei mir war, ihm auch die Hand geben wollte, drehte der Mitarbeiter sich weg. Dies ist aber ein krasses Beispiel und kann in keinem Fall verallgemeinert werden.

Eine Form der Ungleichbehandlung, die von schwarzen in den USA beklagt wird, sind Polizeidurchsuchungen aufgrund der Rassenzugehörigkeit - dort sind diese bekannt als "Stop and Frisk"-Kontrollen. Der AK Asyl beklagt ein ähnliches Vorgehen der Polizei hier in Bielefeld, auf dem Kesselbrink.

Poggenklaß: Im Juli fanden am Kesselbrink innerhalb von neun Tagen mehr als 20 polizeiliche Kontrollen und Durchsuchungen von schwarzen Menschen statt - das kommt mir für eine zeitlich begrenzte Aktion überzogen vor. Vielleicht hatte die Polizei auch ein schlechtes Fahndungsraster. Wenn ich bei der Suche nur nach der Hautfarbe gehe, lande ich schnell im Abseits. Wird dies nicht korrigiert, finde ich das übergriffig und hätte da so meine Fragen. Aber ich denke, die leitenden Personen und Ausbilder bei der Polizei stellen sich diese Fragen auch. Trotz allem lässt sich das Vorgehen in diesem Zeitraum nicht verallgemeinern. Ich habe im Umgang mit Polizistinnen und Polizisten auch viele gute Erfahrungen gemacht. Wahrscheinlich ist dies aber eine Situation, die die Gefahr von Übergriffen in sich birgt. Daraus müssen wir alle lernen.

Sie sind seit über 30 Jahren in der Flüchtlingsarbeit tätig und haben engen Kontakt zu den Betroffenen. Sind diese sich bewusst, dass sie unter Umständen nur aufgrund ihrer Herkunft kontrolliert werden und üben aktiv Kritik?

POGGENKLASS: Die meisten, die zu uns kommen, sind sich darüber im Klaren. Dazu, es auch offen auszusprechen, gehört aber ein sehr weit entwickeltes, gesellschaftliches Bewusstsein - und das ist unter den Menschen anderer Länder genauso verschieden verteilt wie hierzulande auch. Manche kommen auf einen guten Rat hin zu einer Beratungsstelle, manche von sich aus. Dort bekommen sie dann Hilfe, was sich wiederum herumspricht.

Ist die Hilfe von Gruppierungen wie dem AK Asyl nötig, um genau dieses Bewusstsein zu fördern?

Poggenklaß: Ja, das ist nötig und genau das versuchen wir mit unserer Arbeit.

Was können die Betroffenen tun und an wen können sie sich wenden?

Poggenklaß: Sie können zu ganz verschiedenen Beratungsstellen gehen. In Bielefeld gibt es neben dem AK Asyl das Deutsche Rote Kreuz oder eine Beratungsstelle von Amnesty International. Für die Studierenden gibt es auch in der Universität beim AStA eine Anlaufstelle. Dazu kann man sich an Stellen wenden, die nicht direkt etwas mit Flüchtlingen zu tun haben, aber mit Migranten. Da gibt es sowohl Fachstellen bei den Städten, als auch bei den Wohlfahrtsverbänden wie Caritas, Diakonie oder AWO.

Woran muss gearbeitet werden, um für die Zukunft hier zu einer Besserung zu gelangen?

Poggenklaß: Zwei Stichworte: Kontakt und Bildung. Zum einen muss ich die Menschen kennen, also ihr persönliches Schicksal. Zum anderen aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, um darüber nachdenken zu können. Dazu gehört Bildung. Das gilt überall und für die gesamte Gesellschaft - ob beim Einkaufen, in der Schule oder in der Nachbarschaft.

Zur Person

  • Joachim Poggenklaß (66) stammt aus Gütersloh, er arbeitete nach seinem Theologiestudium als Pfarrer im Ruhrgebiet;
  • Als Studentenpfarrer kam er zur Flüchtlingsarbeit, in der Gemeinde gab es damals auch Flüchtlinge;
  • Später arbeitete er als Gemeindepfarrer und Lehrer für Religion in Bielefeld;
  • Seit 2011 ist Poggenklaß im Vorstand des Arbeitskreises Asyl.

[FOTO] "Ich habe im Umgang mit Polizisten auch viele gute Erfahrungen gemacht": Joachim Poggenklaß über den Umgang mit Flüchtlingen in Bielefeld. Foto: Yannik Ramsel