03.11.2014

Neue Westfälische: Deutsche Distanz zu Flüchtlingen

Zeitungsausschnitt

Seite 12 - Lokales Bielefeld

Grüner Salon: 150 Gäste und viel Kritik

VON KURT EHMKE

Mitte. Das Thema ist aktuell wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr - und so war der Grüne Salon der Grünen zum Thema Flüchtlinge auch bestens besucht. 150 Bielefelder verfolgten vor dem Hintergrund von weltweit 50 Millionen Flüchtlingen die Sichtweisen des langjährigen UN-Korrespondenten Andreas Zumach und der flüchtlingspolitischen Sprecherin der Grünen im NRW-Landtag, Monika Düker.

In der Kritik standen westliche Einsätze in Krisengebieten, Zumach: "Für jeden getöteten Terroristen wachsen zehn Terroristen nach, die Einsätze schüren den Hass." Zudem kämen auf "vielleicht tausend tote Terroristen zehntausende tote Zivilisten". Die jetzt wieder verstärkt aufkommende Frage nach einer deutschen Verantwortung leuchtet Zumach nicht wirklich ein - als starke Wirtschaftsmacht "gab es diese Verantwortung schon immer, man ist nur schlecht mit ihr umgegangen". Das Ziel, Fluchtursachen zu unterbinden, zum Beispiel durch gerechtere Handelsverträge, sei schlicht verfehlt worden. Und wenn der "Flüchtling dann zum Flüchtling geworden ist", dann greife die humanitäre Verantwortung - auch hier genüge Deutschland nicht den Ansprüchen. "Wenn man schon nicht selbst mehr Menschen aufnehmen möchte, dann muss man wenigstens die instabilen Länder entlasten, die die Flüchtlinge aufnehmen." Stattdessen sei erst am Samstag vom UNO-Hochkommissariat die Nahrungsmittelunterstützung um 40 Prozent absenkt worden. "Und die backen sich das Brot ja nicht selbst, sondern haben nur die Mittel, die ihnen die Mitgliedsstaaten geben - es liegt also auch an Deutschland."

Düker hob mit Blick auf die Situation von Flüchtlingen in Deutschland hervor, dass die Kommunen sich sehr bemühten, aber zu wenig Mittel und Möglichkeiten hätten. Von 2013 auf 2014 habe sich die Zahl der Flüchtlinge verdoppelt, 40.000 sind es in NRW. Für sie fehle Wohnraum, fehle Betreuungspersonal, fehlten Gelder - fast überall gebe es Überbelegungen. "Es darf aber der Blick auf Standards und Qualität nicht verloren gehen."

De facto aber sei das Aufnahmesystem in Deutschland derzeit nicht mehr handlungsfähig: Beim Bund lägen 130.000 unbearbeitete Asylanträge, in den Kommunen kämen Menschen an, deren Status ungeklärt sei. Der Bund halte sich aus der Finanzierung heraus, und das Asylbewerberleistungsgesetz sei eher ein Integrationsverhinderungsgesetz. "Fakt ist: Diese Menschen bleiben hier - und wir bieten ihnen nicht den vollen Zugang zu unserem Gesundheitssystem und bieten ihnen auch keine Deutschkurse an - so schaffen wir Distanzen", sagt Düker. Für die notwendige Integration von Flüchtlingen, die in Deutschland bleiben, sei all das ein enormes Hemmnis.

[FOTO] In der Debatte: Monika Düker und Andreas Zumach vor 150 Gästen beim Grünen Salon im Historischen Museum. FOTO: SANDRA SANCHEZ