16.07.2013

Neue Westfälische: Das verborgene Elend

Zeitungsausschnitt

Seite 9 - Lokales Bielefeld

Raum- und Personalnot: Viele Flüchtlinge leben unter unzumutbaren Bedingungen

Von Ansgar Mönter

Bielefeld. Elendsviertel gibt es in Bielefeld nicht; zumindest keine öffentlich sichtbaren. Sehrwohl aber gibt es Menschen, die im verborgenen Elend hausen müssen: zu Fünft oder mehr in winzigen Zimmern, mitunter ohne warmes Wasser, ohne Waschgelegenheit und Waschmaschine, mit Sammelklos für Dutzende, Tür an Tür mit Menschen aus vollkommen unterschiedlichen Kulturen. Es sind Flüchtlinge, Asylbewerber. Für sie fehlen Raum und Betreuer.

In Bielefeld gibt es drei Arten der Flüchtlingsaufnahme:

Erstens: An der Gütersloher Straßen stehen 250 Plätze in der Erstaufnahmestelle des Landes bereit. Die Menschen dort werden innerhalb von Wochen auf Kommunen im Land verteilt.

Zweitens: Minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung werden in speziellen Unterkünften unter der Obhut des Jugendamtes betreut.

Drittens: Asylsuchenden, die Bielefeld regulär zugewiesen bekommt. Und um die geht es. Die Umstände ihres Daseins in der Stadt nennt Katrin Dallwitz – teilweise – "katastrophal". Dallwitz arbeitet beim Arbeitskreis (AK) Asyl. Der kümmert sich um Flüchtlinge. "Viele davon sind traumatisiert", sagt Dallwitz. Sie haben meist eine mehrmonatige Reise von einem Ort zum anderen hinter sich.

Ruhe aber finden sie hier oft nicht. Sie hängen in den engen städtischen Unterkünften fest oder werden in Wohnungen eingewiesen ohne Möbel, Küche oder ausreichenden Gelegenheiten für Hygiene, so dass die Kinder mitunter einen verwahrlosten Eindruck in Kindergarten oder Schule machen. "Es herrscht Chaos", sagen die, die sich um diese Menschen kümmern. Hochschwangere sollen schnell umziehen, Familien mit Klein- und Schulkindern werden aus ihrem ersten gewohnten Umfeld herausgenommen und in entfernte Stadtteile verlegt.

Das Grundproblem Nummer eins: Es mangelt an Raum. Zwischen 300 und 400 Asylsuchende werden Bielefeld jährlich zugewiesen, Tendenz steigend. Die 172 Plätze in den Übergangsheimen der Stadt sind komplett belegt, ebenso die Ausweichquartiere in den Obdachlosenheimen und anderen Notunterkünften.

Zurzeit werden Wohnungen von der Stadt beschlagnahmt, es gibt sogar Überlegungen, Hotels und Pensionen zwangsweise zu belegen. Die Flüchtlinge werden in der akuten Not um Raum hin und her geschoben, ohne das Rücksicht auf Familiensituationen und Krankheiten genommen wird – oder werden kann.

In der Verwaltung und der Politik haben einige Akteure die prekäre Lage für die Flüchtlinge längst erkannt. Sie drängen auf Veränderung. Die Übergangsheime müssten dringend saniert werden, heißt es. Seit etwa zwei Jahren zum Beispiel plädieren Fachleute und Helfer der Flüchtlinge, ein substantiell gut erhaltenes Fabrikgebäude in Brackwede so umbauen zu lassen, dass endlich würdiger Lebensraum entsteht für die Asylbewerber. Pläne dazu gibt es. Sie liegen bei der BGW.

Perfekt wäre die Situation danach nicht, aber weitaus besser als jetzt, so die Einschätzung. Doch immer wieder wurde die Entscheidung im Rathaus vertagt. Auch gibt es die eindringliche Empfehlung, das Stellenkontingent für die soziale und psychologische Betreuung der Flüchtlinge zu eröhen. Ohne die kommen sie hier nicht klar. Momentan kümmert sich nur eine Person um die Betroffenen, die im gesamten Stadtgebiet verteilt sind. Mindestens zwei weitere Sozialarbeiter wären nötig. Das kostet Geld. Genauso wie der Umbau des Fabrikgebäudes.

Die adäquate Betreuung und Versorgung der Flüchtlinge ist eine Pflichtaufgabe der Kommune. Sie bekommt dafür eine Pauschale pro Kopf vom Land bezahlt. Am heutigen Dienstag gäbe es abermals die Chance, eine Änderung der Verhältnisse auf den Weg zu bringen. Der Sozialausschuss tagt. Doch die Angelegenheit steht wieder nicht auf der Tagesordnung.

So werden viele Flüchtlinge – sie kommen aus dem Kaukasus, vom Balkan, aus Syrien und dem restlichen Nahen Osten, aus Afghanistan und Afrika – in Bielefeld auf unbestimmte Zeit weiter in elendigen Verhältnissen hausen müssen.

[FOTO 1] Stapeln sich: Diese Familie, fünfköpfig, aus Armenien muss extrem beengt leben, essen und schlafen – über Monate. FOTOS: ANSGAR MÖNTER

[FOTO 2] Ohne Spüle: Koch- und Essstelle für eine vierköpfige Familie.

[FOTO 3] Überlastet: Dusche für dutzende Flüchtlinge.

[FOTO 4] Eine mögliche Lösung: Dieses ehemalige Fabrikgebäude in Brackwede an der Eisenstraße könnte viele Probleme mindern oder beseitigen. Es steht bereit. Doch es müsste für die Flüchtlingsaufnahme saniert werden.