Neue Westfälische: Auf der Suche nach Zugeörigkeit
Podiumsdiskussion um Integration und Ausgrenzung
VON CHRISTIAN LUND
Bielefeld. „Ich integriere mich von frühmorgens bis spätabends – Vom Wegmüssen und Ankommen“ ist der Titel einer Fotoausstellung in der Altstädter Nicolaikirche. Jetzt diskutierten dort Einwanderer aus Bielefeld mit Vertretern des Amts für Integration und interkulturelle Angelegenheiten sowie vom Arbeitskreis Asyl.
Professor Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung an der Uni Bielefeld, vertrat in seinem Vortrag die Ansicht, Anerkennung werde zunächst auf dem Bildungsmarkt oder im kulturellen Bereich gesucht. Auf der nächsten Stufe frage sich ein Migrant dann: „Kann ich als gleichberechtigter Bürger teilhaben an grundsätzlichen Auseinandersetzungen?“ Und erst dann in einem dritten Schritt erfolge die Suche nach einer stabilen Zugeörigkeit. „Aber die Gesellschaft ist nicht sonderlich daran interessiert, die Anerkennung fortzuführen; eher wird sie noch verringert.“ Mittlerweile würden aus ethnischen Gruppen religiöse, was der Integration auch nicht gut tue, aber die Religion sei für viele Migranten die einzige Integrationsquelle, die übrig bleibe. „Wir müssen sensibel darauf achten, dass keine „wir“- und „die“-Gruppen entstehen“, sagte Heitmeyer.
Nasdja Schellenberg, die mit zwölf Jahren aus Kasachstan nach Deutschland gekommen ist, erzählte: „Ich dachte, dass ich auf meinem guten Notenniveau hier in Deutschland weitermachen kann.“ Stattdessen sei sie in eine Auffangklasse an einer Hauptschule gekommen, in der es nur Migranten gegeben habe. „Wir sollten zusammen Deutsch lernen, aber es wurde eigentlich nur Russisch gesprochen.“ Trotzdem habe sie dann noch die Qualifikation geschafft und am Gymnasium das Abitur gemacht. „Aber ich hatte das Lernen an der Hauptschule verlernt. Ich musste nämlich für meine guten Noten dort nichts tun.“ Sie habe keine Chance gehabt, ihre Qualitäten zu beweisen. „Ich wurde einfach nicht gefragt, was ich wollte und fühlte mich dadurch wie abgestellt.“
„Die gesetzlichen Regelungen wollen für Asylbewerber keine Integration“, erklärte Kathrin Dallwitz vom Arbeitskreis Asyl. Sie berät und unterstützt Menschen mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus. „Für viele ist es dann später ein Hohn, wenn sie sich integrieren sollen.“ Als Beispiel nannte sie einen jungen Mann aus ihrer Beratung, der einen Studienplatz bekommen habe, dort aber nicht studieren dürfe, weil er Residenzpflicht habe. Stattdessen sitze er jetzt mit seinen Eltern weiterhin im Asylbewerberheim. Die Residenzpflicht verbietet es einem Menschen, den jeweils zugewiesenen Bezirk der Ausländerbeörde zu verlassen.
Annegret Grewe, Integrationsbeauftragte in Bielefeld, erklärte, dass mit allen Mitteln der Spracherwerb gefördert werden müsse. Bielefeld habe dazu schon ein gutes Konzept, denn die Integrationskurse, die es seit 2005 gibt, seien voll.
„Ich orientiere mich an der deutschen Sprache und muss sie erlernen, wenn ich hier leben will“, sagte auch Cosku Fidan, dessen Eltern 1973 aus der Türkei nach Deutschland kamen. Er selbst ist hier geboren.
Sodann öffnete sich die Runde dem Publikum. Kontrovers wurden die vorher angesprochenen Themen diskutiert. Auch die offenen Grundschulgrenzen und der Minarettbau in Brackwede wurden thematisiert. Heitmeyer nannte es eine „Katastrophe“, dass die Grundschulgrenzen aufgehoben werden. „Damit bildet man wieder homogene Gruppen, da fasst man sich doch an den Kopf.“
[FOTO] Diskutierten: Nasdja Schellenberg, Gertraud Strohm-Katzer (Ausstellerin), Emir Ali Sag (Geschäftsführer des Migrationsrates), Annegret Grewe, Kathrin Dallwitz, Wilhelm Heitmeyer, Cosku Fidan und Hermine Oberück (Ausstellerin) (v.l.). FOTO: CHRISTIAN LUND
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