Stellungnahme der NW
Vor kurzem hatte der Vorstand des AK Asyl e.V. die Bielefelder Lokalzeitung "Neue Westfälische" zu einer Stellungnahme aufgefordert. Dazu haben wir nun Antwort erhalten.
Sehr geehrter Herr Kohl,
vielen Dank für Ihren Brief vom 16. Februar, der mich am 19. Februar erreichte. Ich danke Ihnen und dem AK Asyl e.V. zunächst ausdrücklich für den Respekt und das Lob, die Sie unserer Redaktion, unserer Bielefelder Redaktionsleiterin Andrea Reifes und mir selbst zukommen lassen für unseren Umgang mit der "Bielefeld bleibt bunt"-Kundgebung im Januar.
Journalisten brauchen eigentlich kein Lob und im Grunde ist es sogar geeignet, die Objektivität der Berichterstattung zu beeinträchtigen. In diesem Fall aber liegt die Sache anders. Hier geht und ging es uns als Zeitung darum, eindeutig Stellung zu beziehen in einer Angelegenheit, die unseren demokratischen Rechtsstaat herausfordert und im Kern auch geeignet ist, ihn in seinen Grundfesten zu bedrohen. Dieser Rechtsstaat aber ist die Grundlage unseres Handelns und Schreibens. Wer ihn bedroht, bedroht auch unmittelbar unsere Tätigkeit, unseren Zugriff auf und unseren Umgang mit der Wirklichkeit.
Wirklichkeit ist ein gutes Stichwort für den zweiten Teil Ihres Briefes, in dem Sie unsere Berichterstattung zu und den Umgang mit Straftaten ansprechen.
Mit Ihrem oben erwähnten Lob dürften Sie zugleich akzeptieren, dass unsere Redaktion unter meiner Führung unverdächtig ist, rassistische Tendenzen zu befördern und durch eine Betonung der Nationalität zu Ausländerhass beitragen zu wollen. Gleichzeitig reklamieren Sie aber, dass unsere Berichterstattungen über Polizeieinsätze hier nicht trennscharf bleiben und damit gelegentlich auch gegen die von unserem Presserat in einem Kodex festgelegten Regeln verstoßen.
Zunächst: Die von Ihnen zitierte Richtlinie 12.1 hat ihre Berechtigung und ihren Sinn darin, die Diskriminierung von Migranten nicht dadurch zu befördern, dass man ihre Herkunft mit Straffälligkeit in Verbindung bringt. Dies ist dann und nur dann zulässig, wenn zwischen Herkunft und Straftat ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Sie werden mir sicher zustimmen, dass dies zu einer völlig abstrusen Situation führt, nämlich die, dass wir als Zeitung nur dann, aber auch dann gehalten sind, die Nationalität eines Migranten zu einem Thema zu machen, wenn er eine Tat begeht, die ein „Nicht-Migrant" gar nicht begehen kann - den Verstoß gegen Ausländer- bzw. Einwanderungsgesetz. Ich hoffe, dass Sie nachvollziehen können, dass wir als Redaktion mit dieser - gewissermaßen - Umkehr einer diskriminierenden Berichterstattung ein objektives Problem haben.
Doch dies nur am Rande. Viel wichtiger an dieser Debatte ist mir Folgendes: Die aus Ihrer Sicht zentrale Argumentation im publizistischen Umgang mit Migranten zielt auf die .medial unterfütterte Angst vor einem pathologisierten und kriminalisierten Fremden" als einem .der Gründe für den derzeitigen Erfolg von rassistischen Bewegungen, wie z.B. Pegida".
Mit Verlaub: Hier gehen Sie - ebenso Margret Jäger - möglicherweise fehl. Ich räume ein, dass ich auch nicht ganz sicher bin, mindestens aber habe ich einen begründeten Zweifel an dieser These. Inzwischen beobachten wir - übrigens gerade befördert durch die Pegida-Vokabel von der „Lügenpresse"-Angriffe gegen unsere sauber recherchierten Informationen und Geschichten derart, dass uns vorgehalten wird, wir berichteten nicht die wirkliche Wirklichkeit.
Nun muss man sich nicht jedes unbegründeten Vorhalts annehmen. Mit Sorge sehe ich es aber, wenn solche Vorhaltungen begründet werden mit Zitaten von rechtsradikalen Gruppierungen im Internet, die Nationalitäten nennen und damit parallel den Vorwurf erheben, nur bei ihnen auf den Seiten erhalte man vollständige und also korrekte Informationen, während die etablierten Medien sich im „Weglassen" von „nicht gefälligen" Informationen übten.
Letzteres halte ich natürlich für absolut unzutreffend, gleichwohl aber muss man dieser Argumentation wehrhaft, aber auch wahrhaftig entgegentreten.
Ich möchte Sie an dieser Stelle nicht langweilen mit den Studien und Einlassungen des Sozialwissenschaftlers Horst Pöttker, einen Gedanken aber doch erwähnen. Pöttker sagt:
„Wer möchte, dass Journalisten verantwortlich handeln, sollte ihnen die Freiheit zu eigenem Abwägen zugestehen, denn sonst können sie Verantwortung weder empfinden noch wahrnehmen."
Ersatzweise, wenn Herr Pöttker allein Sie nicht zu überzeugen vermag, suche ich Schutz bei Ingeborg Bachmann, die ja auch journalistisch gearbeitet hat:
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar."
Ich verspreche Ihnen, dass die NW unter meiner Führung stets zum verantwortungsvollen Umgang mit der Wahrheit und der Freiheit zu eigenem Abwägen steht. Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass Ihr Anliegen, Ihr Brief und Ihre Kritik keineswegs auf „taube Ohren" gestoßen sind. Wir sind bereit zu und interessiert an einem kritisch-konstruktiven Dialog. Damit bleibe ich
freundlich grüßend
Ihr
Thomas Seim
Chefredakteur
PS: Ich habe prinzipiell keine Einwände gegen eine Veröffentlichung des Briefwechsels auf Ihrer Homepage, wenn sichergestellt ist, dass dies vollständig geschieht. Eine Teilveröffentlichung halte ich für unzulässig. Ich bitte darum, das zu respektieren.
- Dateien:
- 2015-02-24_Brief-Neue-Westfaelische.pdf1.22 Mi