Brief an Ministerin: Elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete
Diverse gesundheitsbezogene Initiativen für Geflüchtete in Nordrhein-Westfalen (NRW) haben sich mit einem Brief an die NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens gewendet. Sie fordern darin die elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete von Beginn bis zum 15. Monat ihres Aufenthalts in NRW sicherstellen und Ungleichbehandlung abzustellen.
Sehr geehrte Frau Steffens,
hiermit schreiben wir – die Medibüros/Medinetze in Nordrhein-Westfalen und weitere Organisationen in der medizinischen Versorgung Geflüchteter – Sie als zuständige Landesministerin heute aus gegebenem Anlass in der Sache „Elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete“ an. Einem redaktionellen Beitrag im Westfälischen Ärzteblatt 8/2016 entnehmen wir, dass Sie grundsätzlich eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete befürworten. Dem Artikel folgend, könnte man den Eindruck erhalten, dass Ihnen die Einführung der Gesundheitskarte für alle, die hier in Nordrhein-Westfalen Asyl suchen oder aufgrund ihrer Flucht hier im Land ankommen, ein besonderes persönliches Anliegen sei. Wir begrüßen diese Einstellung ausdrücklich und sind Ihnen für Ihr bisheriges Engagement in dieser Sache dankbar.
Wie Ihnen allerdings nicht entgangen sein dürfte, hat die unter Ihrer Verantwortung für das Land Nordrhein-Westfalen in 2015 ausgehandelte Mustervereinbarung für ein Abkommen der einzelnen Kommunen mit den lokal jeweils zuständigen Krankenkassen nicht den ursprünglich gefürchteten „Flickenteppich“ an Einzellösungen für das Land verhindert, sondern zu einer regionalen Differenzierung und Ungleichbehandlung der Geflüchteten geführt. Demnach haben sich 23 Kommunen für eine Einführung der Gesundheitskarte zu den zentral ausgehandelten Konditionen entschieden. In den übrigen mehr als 300 Städten und Landkreisen ist dagegen das ursprüngliche, veraltete und aus verschiedenen Gründen abzulehnende krankenscheinbasierte Abrechnungsverfahren beibehalten worden.
Was verursacht diese – aus unserer Sicht: sehr unglückliche – Schieflage in dieser Angelegenheit in unserem Bundesland? Auf der ersten Ebene haben sich vielerorts die Haushälter an die Spitze der verwaltungstechnischen und politischen Gegenargumentationen gesetzt: demnach verursacht der mit 8% im Sinne der beteiligten Krankenkassen – gegen das frühzeitig eingelegte Votum der kommunalen Spitzenverbände – relativ hoch angesetzte Verwaltungskostenanteil unproportional hohe Zusatzkosten für die zum größeren Teil haushaltsmäßig nicht gut aufgestellten NRW-Kommunen. Auf zweiter Ebene – so unser Eindruck aus Kommunen, die sich seit Monaten in (lokalpolitischer) Ablehnung der Gesundheitskarten-Einführung befinden – werden die haushälterischen Argumente mittlerweile gern benutzt und vorgeschoben, um eine von der Tendenz eher ablehnende Grundhaltung gegenüber Geflüchteten und möglichen, ihnen zu gewährenden Leistungen zu kaschieren.
Wir nehmen diesen deutlich spürbaren Trend mit großer Sorge wahr. In diesem Sinne hat die 2015 in einer anderen politischen Stimmung von Ihnen und Ihren Mitarbeiter*innen ausgehandelte NRW-Regelung in der mittelfristigen Wirkung einen sozialpolitisch höchst fragwürdigen Effekt ausgelöst. Vielerorts ist mittlerweile zu diesem Thema so etwas wie eine politische Eiszeit ausgebrochen. Es gibt Orte im Land, an denen das „Erringen eines Krankenscheins“ für Geflüchtete einem Spießrutenlaufen durch bürokratische und sozial-abweisende Barrieren gleicht. Das ist nicht überall so, aber – wie gesagt – die zu dem Thema „Zugang zum nordrhein-westfälischen Gesundheitswesen“ bestehenden Schwellen sind mancherorts unerträglich hoch, dagegen andernorts – wie zu wünschen wäre, und wie es auch der Menschenrechtscharta entspricht – für erkrankte und hilfsbedürftige Geflüchtete angemessen und den oft gegebenen Notlagen entsprechend: eher niedrig.
Wir nehmen vor Ort wahr, dass in unserem Bundesland zu diesem Thema eine teilweise höchst ungerechte, mit starken persönlichen Nachteilen für Einzelne verbundene Ungleichbehandlung von Geflüchteten entstanden ist. Das gilt es aus unserer Sicht schnellstmöglich zu ändern. Dazu möchten wir Sie zu einem aktiven Dialog anfragen, damit die derzeitige, ungünstige Situation möglichst bald geändert und überwunden werden kann. Um was es dabei im Einzelnen gehen sollte, wäre aus unserer Sicht am besten in einer mündlichen Erörterung mit Fachleuten und Mitarbeiter*innen aus Ihrem Hause und Ihrer persönlichen Mitwirkung zu besprechen und zu klären. Hier ließen sich dann auch weitere Einzelheiten, etwa hinsichtlich des Themas der Dolmetscherkosten, ausführlich behandeln. Wir sind gern bereit, zur Vorbereitung eines solchen Gesprächs mit einer konkretisierten Faktengrundlage, insbesondere auch in Form von Fallbeispielen, beizutragen.
Mit freundlichen Grüßen
(gez.)
MediNetz / Medizinische Flüchtlingshilfe Bielefeld im AK Asyl e.V.
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA) e. V.
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - BAfF e.V.
Flüchtlingsrat NRW e.V.
Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf e.V
Medibüro Berlin
MediNetz Aachen e.V.
Medinetz Essen e.V.
MediNetzBonn e.V.
STAY! e.V. Medinetz Düsseldorf
Das Anliegen dieses Schreibens wird zusätzlich unterstützt von:
Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.
kein mensch ist illegal Köln
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