18.02.2015

Aufforderung zur Stellungnahme an die NW

Mit einem ausführlichen Brief und der Aufforderung um Stellungnahme hat sich der Vorstand des AK Asyl e.V. an den Chefredakteur des Zeitungsverlags "Neue Westfälische" (NW) gewendet. Es geht darin um die Positionierung zu Rassismus und der Reproduktion von Stereotypen und Vorurteilen in einigen Artikeln der Zeitung.

Screenshot Brief an NW

Brief an die Neue Westfälische (NW)

Sehr geehrter Herr Seim,

hiermit möchten wir, Vorstandsmitglieder des Arbeitskreis Asyl e.V., Sie als Chefredakteur der Neuen Westfälischen um eine Stellungnahme bezüglich Ihrer Positionierung zu Rassismus und der Reproduktion von Stereotypen und Vorurteilen in einigen Artikeln Ihrer Zeitung bitten. Um unsere Kritik verständlich zu machen, möchten wir uns konkret auf die Berichterstattungen zu zwei Themen beziehen. Im ersten Fall geht es um die Kundgebung „Bielefeld bleibt bunt und weltoffen“ vom 19.01.2015, im zweiten Themenbereich steht Ihre Berichterstattungen zu Straftaten und Kriminalität im Fokus.

1. Berichterstattung zur Kundgebung "Bielefeld bleibt bunt und weltoffen"

In dem Lokalteil der Ausgabe vom 20.01.2015 widmen Sie sich in breitem Umfang der Kundgebung „Bielefeld bleibt bunt und weltoffen“ (siehe Anlage 1.1 & 1.2). Zunächst ist es unserer Meinung nach mehr als begrüßenswert, dass Sie diesem Thema ca. drei Viertel der ersten Seite des Lokalteils widmen und Themen wie Antirassismus und Solidarität mit Geflüchteten in den Vordergrund heben.
Die Neue Westfälische hat sich in diesem Kontext öffentlich auf verschiedene Art und Weise gegen Rassismus positioniert  – sei es durch den Kommentar von Andrea Rolfes auf derselben Seite („Bielefeld zeigt Flagge – Toleranz muss im Alltag gelebt werden“) oder auf der Kundgebung selbst durch Ihre beeindruckende Rede. So eine klare Positionierung eines lokalen Mediums ist alles andere als selbst¬verständlich und wir wissen das durchaus zu schätzen.

Sich zu positionieren bedeutet jedoch in erster Linie eine Grenzziehung zu vollziehen – in diesem Fall eine klare Abgrenzungen zu rassistischen Wertvorstellungen und Weltbildern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass eine klare Positionierung gleichzeitig Konsequenzen für die eigenen Taten und Äußerungen erfordert: Das eigene Handeln muss der eigenen Positionierung entsprechen – falls es zu eklatanten Widersprüchen zwischen Handeln und Positionierung kommt, so nimmt die eigene Glaubwürdigkeit und Authentizität erheblichen Schaden an. Viel schlimmer: Die Positionen und die dahinterstehenden Normen und Werte an sich – die man  vorzuleben versucht – werden angreifbar.
Wichtiger Bestandteil einer Positionierung ist demnach immer eine kritische Selbstreflexion, die überprüft ob man dem eigenen Anspruch im täglichen Handeln – und dazu zählt auch der redaktionelle Alltag - gerecht wird. Dies führt uns zu unserer Kritik:

2. Berichterstattung zu Straftaten und Kriminalität

In derselben Ausgabe vom 19.01.2015 kam es zu einigen Widersprüchen zwischen Ihrer eigenen Positionierung im Zusammenhang mit der Kundgebung „Bielefeld ist bunt und weltoffen“ und der tatsächlichen Umsetzung im Rahmen Ihrer Berichterstattung. Auf der ersten Seite des Lokalteils (also auf derselben Seite wie die Berichterstattung zur Kundegebung), titeln Sie „Helfer am Jahnplatz zusammengetreten“ (vgl. Anhang 2.1), auf Seite 18 derselben Ausgabe ihrer Zeitung heißt es „Aggressive Schläger – Pärchen an Hauptstraße verbal und tätlich angegriffen“ (vgl. Anhang 2.2). In beiden Artikeln werden die Täter als sogenannte „Südländer“ markiert.
Wir sind uns natürlich darüber bewusst, dass sich die Artikel auf Pressemitteilungen der Polizei Bielefeld stützen Dennoch möchten wir Sie als Verantwortliche für den Zeitungsartikel einerseits fragen, welchen Informationsgehalt Sie sich davon versprechen, eine straffällig gewordene Person anhand von Hautfarbe, Aufenthaltsstatus oder Nationalität zu beschreiben? Andererseits ist es aus unserer Sicht ein Qualitätsmerkmal von gutem Journalismus sämtliche, auch die staatlichen oder polizeilichen, Quellen, kritisch zu überprüfen, bevor Formulierungen oder Aussagen wortwörtlich in einem Artikel eingebaut werden.

Wir erachten in diesem Kontext die Richtlinie 12.1 des Pressekodex des Deutschen Presserates als sehr hilfreich:

„Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten:
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. 
Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Hervorzuheben ist hier in Bezug auf die von uns kritisierten Artikel der letzte Satz der Richtlinie 12.1. Durch die explizite Zusammenführung von „Kriminalität“ und der Markierung als „nicht weiß und nicht Deutsch“ knüpft Ihre Berichterstattung direkt an rassistische Vorurteile an und nährt diese. Auch Wissenschaftler_innen wie z.B. Margret Jäger u.a. betonen immer wieder den Zusammenhang zwischen medialer Berichterstattung und Reproduktion von rassistischen Ressentiments. In ihrem Artikel Zweierlei Maß – Die Berichterstattung über Straftaten von Deutschen und MigrantInnen in den Printmedien und das Dilemma der JournalistInnen schreibt Jäger:

„Die Verschränkung des Einwandererdiskurses mit anderen Diskursen, hier beispielhaft vorgestellt an der Verschränkung mit dem Diskurs der Inneren Sicherheit, führt in der Regel zu fatalen Effekten – etwa dazu, dass sich in der Bevölkerung eine Kriminalitätsfurcht einstellt, die erstens mit der realen Situation nicht in Verbindung gebracht werden kann und die zweitens zu einer engen Assoziation von „AusländerInnen“ und „Kriminalität“ führt und damit Rassismus schürt.“ (Jäger et al 2002, 73).

Unserer Meinung nach ist die medial unterfütterte Angst vor einem pathologisierten und kriminalisierten „Fremden“ einer der Gründe für den derzeitigen Erfolg von rassistischen Bewegungen, wie z.B. Pegida oder die zahlreichen „Nein zum Heim“–Initiativen. In zahlreichen Leser_innenbriefen ist dieser Zusammenhang erkennbar – rassifizierende Beschreibungen von Delikten in den Zeitungsartikeln werden hier zum Anlass genommen, um direkt an das rassistische Bild des „kriminellen Anderen“ anzuknüpfen. Auch in Ihrer Zeitung finden sich hierfür eindrückliche Beispiele: Am 30. und 31. Januar 2015 berichteten Sie in Ihren Ausgaben von einem Asylbewerber aus Georgien, der innerhalb von zwei Tagen zweimal von der Polizei kontrolliert und verdächtigt wurde, eine Straftat begangen zu haben (vgl. Anhang 2.3 & 2.4). Es stellt sich erneut die Frage, welchen Informationsgehalt Sie sich davon erwarten, den Täter als Staatsbürger Georgiens und Asylbewerber zu beschreiben.
Das Resultat einer solchen Beschreibung findet sich wenige Tage später in der Rubrik „Briefe an die Lokalredaktion“ wieder. Herr Wolfgang Pollhans formulierte in seinem Leserbrief wie folgt (vgl. Anhang 2.5): „Es ist schon erstaunlich und bestimmt nicht für jeden nachvollziehbar, dass solche Leute noch in Deutschland geduldet werden. Warum werden sie nicht sofort abgeschoben? (…) Hätte man sie gleich aus dem 'Verkehr' gezogen, dann wäre der nächste Diebstahl nicht passiert.“ Wie Sie an diesem kleinen Beispiel sehen können, reichen offensichtlich diese kurzen, auf Ethnisierungen basierenden (Polizei-) Mitteilungen dazu aus, rassistische Stereotype zu aktivieren und zu füttern.

Gerade angesichts Ihrer so wünschenswerten Positionierung gegen Rassismus in den letzten Wochen möchten wir Sie dazu auffordern, sich in einem nächsten Schritt noch einmal genauer mit Ihrer Verantwortung als wichtiges lokales Meinungsmedium bezüglich der Reproduktion von Vorurteilen und Stereotypen auseinanderzusetzen. Wir wünschen uns eine aktive, selbstkritische Auseinandersetzung mit diskriminierungsfreier Sprache bzw. Journalismus.
Wir sind uns durch unsere tägliche Arbeit darüber bewusst, dass die Anerkennung der eigenen Verantwortung ein schwieriger erster Schritt ist – gerade da routinierte Verhaltensweisen und der als natürlich oder „normal“ empfundene Sprachgebrauch massiv in Frage gestellt wird.

Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Sie als Zeitungsredakteur_innen eine neue gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus anstoßen wollen (was im Hinblick auf die Kundgebung mindestens 10.000 Bielefelder_innen begrüßen würden!) und dazu aktiv beitragen wollen, Rassismen zu bekämpfen und ihrer eigenen Positionierung gerecht zu werden, oder ob Sie in ihrer alten Routine verbleiben. Die Entscheidung zu letzterem hätte zum einen massiven Schaden Ihrer Glaubwürdigkeit als Medium zur Folge, zum anderen verblieben Sie weiterhin ein Teil des Problems. Denn das Problem heißt Rassismus und betrifft uns alle.

Wir hoffen inständig, mit unserer kleinen Kritik nicht auf taube Ohren zu stoßen. Wir freuen uns bereits jetzt sehr auf Ihre Stellungnahme und möchten uns gleichzeitig im Voraus für Ihre Antwort bedanken. Um dieser wichtigen, gesellschaftlichen Debatte einen geeigneten Rahmen zu bieten und eine größtmögliche Öffentlichkeit zu erreichen, möchten wir Ihre Antwort gerne auf unserer Homepage veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen,
Vorstand des AK Asyl e.V. Bielefeld

Anlage:

1.1 – Neue Westfälische, 20.01.2015, NW Bielefeld, S. 9

1.2 – Neue Westfälische, 20.01.2015, NW Bielefeld, S. 9

2.1 – Neue Westfälische, 20.01.2015, NW Bielefeld, S. 9

2.2 – Neue Westfälische, 20.01.2015, Lokales, S. 18

2.3 – Neue Westfälische, 30.01.2015, NW Stadtteile, S. 15

2.4 – Neue Westfälische, 31.01.2015, NW Bielefeld, S. 9

2.5 – Neue Westfälische, 09.02.2015, Lokales, S. 8

Lesetipp:

Jäger, Margret; Jäger, Siegfried; Cleve, Gabriele & Ruth, Ina (2002) Zweierlei Maß – Die Berichterstattung über Straftaten von Deutschen und MigrantInnen in den Printmedien und das Dilemma der JournalistInnen, in: Liebhart, Karin; Menasse, Elisabeth & Steinert, Heinz (2002) Fremdbilder – Feindbilder – Zerrbilder. Zur Wahrnehmung und diskursiven Konstruktion des Fremden. Klagenfurt/Celovec: Drava Verlag. S. 57 – 78.

Neue deutsche Medienmacher (2014) Neue Begriffe für die Einwanderungsgesellschaft. NdM-Glossar mit Formulierungshilfen für die Berichterstattung, Online abrufbar unter: http://www.neuemedienmacher.de/wp-content/uploads/2014/12/Glossar_A5_online.pdf

Dateien:
2015-02-18_Brief_NW.pdf2.80 Mi