10.04.2014

Artikel: Integration nach Kassenlage

In Stadteilzeitung "Viertel - Zeitung für Stadtteilkultur und mehr" (Nr. 24) wird über die geplante Unterkunft für Flüchtlinge in der Eisenbahnstraße in Brackwede berichtet. Mit freundlicher Genehmigung des Autoren stellen wir den Artikel auch hier zur Verfügung.

In der Eisenbahnstraße in Brackwede entsteht eine neue Flüchtlingsunterkunft. Das stößt auf Kritik, weiß Hans-Georg Pütz zu berichten

Simon Massawa (Name geändert) ist aus seinem Heimatland Eritrea geflohen. Politische Verfolgung und Folter zwangen ihn, seine Heimat zu verlassen. Er gehört zu der steigenden Zahl von Flüchtlingen, die in der Fremde Asyl suchen.

Nach dem Ratsbeschluss vom November 2013 wird er in naher Zukunft mit allen, der Stadt Bielefeld zugewiesenen Flüchtlingen zentral in der Eisenbahnstraße in Brackwede untergebracht. Das Gebäude, eine ehemalige Wäschefabrik im Besitz der BGW, soll so umgebaut werden, dass es in 31 renovierten Wohnungen bis zu 183 Flüchtlingen Zuflucht bietet. Darüber hinaus sind Räume für die Heimaufsicht, zwei zusätzliche Sozialarbeiter sowie Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche vorgesehen. Gleichzeitig sollen die alten, überholungsbedürftigen Flüchtlingsunterkünfte in der Teichsheide und am Stadtring aufgegeben werden. Doch schon im Vorfeld der Ratsentscheidung hagelte es Kritik.

Keine weitere Unruhe

Der Brackweder CDU-Fraktionschef Carsten Krumhöfner ist der Meinung, dass 183 Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen in einem Gebäude unterzubringen nicht funktionieren könne. "Wir sollten durch eine Ansiedlung des Flüchtlingsheims an dieser Stelle keine weitere Unruhe in dieses ohnehin schon belastete Viertel bringen", gibt Krumhöfner zu bedenken. "So schaffen wir uns neue Brennpunkte", glaubt auch Detlef Helling und weiß einen von allen Parteien in der Bezirksvertretung Brackwede getragenen Beschluss hinter sich. Die CDU plädiert für ein flüchtlingspolitisches Gesamtkonzept unter Beibehaltung der alten Standorte sowie dezentraler Unterbringung. Und verweigerte die Zustimmung zur Eisenbahnstraße.

Lisa Ratsmann-Kronshage von den Grünen zeigte sich ob der Kritik entsetzt: "Anstatt über vermeintliche Belastungen eines Stadtteils durch Flüchtlinge zu sprechen, sollte den Menschen die Möglichkeit gegeben werden, hier Fuß zu fassen."

Auch SPD-Ratsfrau Karin Schrader konterte: "Natürlich ist eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge wünschenswert. Wahr ist aber auch, dass wir in Bielefeld keinen passenden Wohnraum dafür finden." Wenigstens nicht im wünschenswerten Umfang. Im Jahre 2012 beispielsweise wurden Bielefeld 287 Flüchtlinge zugewiesen. Gleichzeitig konnten immerhin 107 aus Übergangswohnheimen in Wohnungen vermittelt werden.

Auch von der Partei ›Die Linke‹ gibt es Kritik an der neuen Flüchtlingsunterkunft. Zwar ist Ratsherr Dirk Schmitz nicht gegen den Ausbau des Übergangswohnheims in der Eisenbahnstraße, plädiert aber für die zusätzliche Renovierung des bisherigen Asylheims in der Teichsheide. "Es geht vor allem darum, dass in der Nachbarschaft der Teichsheide ein seit Jahren gut funktionierendes soziales Netzwerk für Flüchtlinge existiert, das damit zerschlagen wird."

Das ist aber der Ampelkoalition – angesichts der Haushaltslage – zu teuer. Spart doch die Stadt beim neuen Standort Eisenbahnstraße durch eine zentrale Bewirtschaftung sogar noch Geld. Vorausgesetzt, die beiden älteren Standorte werden aufgegeben.

Stadt kauft sich davon frei, Flüchtlinge langfristig aufzunehmen

Überhaupt, das liebe Geld. Wegen der zu erwartenden höheren Zahl von Flüchtlingen hat das Land NRW der Stadt Bielefeld angeboten, die Kapazitäten für die Erstaufnahme auf 450 Plätze zu erweitern. Bielefeld will dieses Angebot annehmen. Denn die 450 Plätze werden auf die Gesamtaufnahmequote der Stadt im Verhältnis eins zu eins angerechnet. Was bedeutet, dass der Stadt weniger Flüchtlinge zugewiesen werden. Die Stadt Bielefeld erhofft sich dadurch, Integrationskosten zu sparen. Denn die Flüchtlinge in der Erstaufnahme verweilen nur kurze Zeit hier. "Die Stadt Bielefeld kauft sich davon frei, Flüchtlinge aufzunehmen, die durch eine Zuweisung, beziehungsweise Umverteilung, langfristig in Bielefeld bleiben. Für eine Stadt, die sich die Integration auf die Fahnen schreibt, ist das ein Armutszeugnis", findet Kathrin Dallwitz vom AK Asyl.

Zur Zeit läuft die Ausschreibung für "die Bereitstellung und den Betrieb einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende" durch die Stadt Bielefeld. Denn die derzeitige Erstaufnahmeeinrichtung im ›Hotel Südring‹ an der Gütersloher Straße, die von einem privaten Unternehmen betrieben wird, hat nur eine Kapazität von 250 Betten. Von menschenwürdigen Wohnverhältnissen und Möglichkeiten, sich von den Strapazen der Flucht zu erholen und parallel Beratung über das Asylverfahren zu erhalten, kann hier nicht gesprochen werden.